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Lebendige Legende


Jane Birkin erlebt derzeit ihren zweiten Frühling. Vielleicht sogar ein zweites Leben, denn die reife, schöne und ausdrucksstarke Frau von heute erinnert so gar nicht an das linkische, nervös kichernde Teenie-Model aus Antonionis Kult-Film "Blow up" (1966), mit dem Jane Birkin ihre Karriere einst begann, die sie als kongeniale künstlerische und Lebens-Partnerin von Serge Gainsbourg fortsetzte.

Dabei wäre es untertrieben zu behaupten, Jane Birkin bewahre und hüte das gemeinsame Erbe. Denn sie macht viel mehr: immer wieder dreht und wendet sie die gemeinsamen Erinnerungen um herauszufinden, was Gainsbourg, der internationalste unter den französischen Musikern, den Musikfans von heute noch zu sagen hat. So ist ihr erfolgreiches Comeback vor allem mit einem Projekt verbunden: "Arabesque". Jane Birkin lud hierzu einige arabische Musiker ein und nahm mit ihnen einige der größten Gainsbourg-Songs neu auf. CD, Tournee und Konzert-DVD wurden ein überwältigender Erfolg.

Engagiert kam Jane Birkin schon kurze Zeit später ein neues Album in Angriff: "Rendez-vous", das ein Zusammentreffen mit vielen namhaften Künstlerkollegen dokumentiert, die zum Teil neues Material für sie schrieben (u.a. Beth Gibbons, Brian Molko, Caetano Veloso, Manu Chao, Dominique A.) oder ältere Kompositionen neu aufnahmen (Paolo Conte).

Diesem hinreißenden Duett-Album von 2004 folgt nun der nächste Streich: "Fictions". Hier steht Jane Birkin wieder allein im Mittelpunkt. Es gibt weder Gainsbourg-Songs noch Duette, aber dennoch eine gewohnt illustre Schar von Künstlern, die Jane Birkin eigens für diesen Anlass neue Songs auf den Leib schneiderten oder andere, deren Songs sie auf "Fictions" covert. "Harvest moon" beispielsweise gehört dazu, der Klassiker von Neil Young, oder "Alice", ein neuerer Titel von Tom Waits.

Freimütig gibt Jane Birkin zu, gegenüber einigen der Komponisten Vorbehalte gehabt zu haben. Etwa gegen Rufus Wainwright, wegen der Ritterrüstung auf dem Cover seines Albums "Want One", oder gegen die "zerzaust aussehenden" Geschwisterpaare der Band "Magic Numbers". Aber ihr Song "Steal me a dream" sei so "edel und melancholisch" gewesen, sie habe ihn unbedingt aufnehmen müssen. Und mit Rufus Wainwright stand sie zwischenzeitlich sogar auf der Bühne.

Renaud Letang und Gonzales produzierten "Fictions". Sie sorgten dafür, dass ein Reigen sehr stiller und intimer Lieder entstand, Momente von verstörender Schönheit und Intensitiät - vielleicht nirgendwo so ausgeprägt wie in "My secret", wiederum einer Komposition von Beth Gibbons. Zwischen der Britin aus Bristol und der Wahl-Französin scheint es wirklich gefunkt zu haben: es ist bereits die zweite Arbeit von Beth Gibbons für Jane Birkin, und für das gerade veröffentlichte Tribute-Projekt ("Monsieur Gainsbourg Revisited") fand so gar Gibbons' Band Portishead erstmals seit zehn Jahren wieder den Weg ins Aufnahmestudio.

Natürlich ist auch Jane Birkin daran beteiligt. Und zwar im Duett mit den schottischen Shootingstars Franz Ferdinand. Die hätten gesagt, sie "sei eine Ikone", erzählt Jane Birkin mit gespielter Koketterie, "da fühle ich mich wie aus Holz geschnitzt, eine Art Totem oder so". Nun ist "Fiction" jedoch der Beweis, das sie weder hölzern ist noch zur stummen Anbetung taugt. Jane Birkin ist aus Fleisch und Blut, aber zweifelsohne eine lebende Legende - mehr noch: eine höchst lebendige Legende.

© Michael Frost, 24. März 2006


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