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Entlarvende
Anti-Haltung


Wenn Mathieu Boogaerts' neue CD als "Pop-Album" angekündigt wird, muss man trotzdem nicht ernsthaft befürchten, dass der versponnene Songwriter des Nouvelle Chanson plötzlich zum Glitzershirt greift, seinen Liedern harmoniesüchtige Arrangements verpasst und sie unter fulminantem Lightshow-Gewitter live in Open-Air-Arenen präsentiert.

Im Unterschied zu früheren Alben hat er lediglich sein Instrumentarium erweitert: Schlagzeug gehört dazu, Bläser auch, die Gitarre ist geblieben. Allerdings setzt er die Instrumente so betont sparsam ein, als ob sie rationiert wären: Gitarre 7,5 Minuten, Schlagzeug 2 1/4, ...

"Come to me", eingeleitet mit einem Trommelwirbel, ist ein treffendes Beispiel für Boogaerts' Geiz, und auch sprachlich erscheint eine weitere Reduktion kaum mehr möglich: "Come to me, one two three ...", reimt er in kalkulierter Unverschämtheit. Und schon mit dem nächsten Song hebelt er die noch eben ersehnte Annäherung wieder aus: "All I wanna do" heißt der Song zwar, die Zeile wird jedoch wenig romantisch fortgesetzt: "All I wanna do - is to forget you".

Nüchterner kann man Popmusik wohl kaum formulieren, und dennoch zeigt "I love you" (der dazu gehörige Song wird in fast schon typischer Manier ironisch gebrochen: "I love you ... // Do you love me too?") unter der betont absurden Oberfläche wiederum das enorme Songwriterpotential Boogaerts'.

Wie bereits beim Vorgängeralbum "Michel" - im direkten Vergleich kann man die Arrangements auf "I love you" übrigens fast als opulent bezeichnen - stellt man sich die Songs nämlich irgendwann in einem 'herkömmlichen' Kontext vor - erst dadurch wird deutlich, dass Mathieu Boogaerts unter der gezielt verfremdeten Sound-Oberfläche einen Ohrwurm nach dem nächsten versteckt - fast, als sei es ihm peinlich, so wahnsinnig gute Melodien geschrieben zu haben.

Doch das zum Programm erhobene Understatement macht den Reiz eben aus, und ein wenig ist es mit seiner Musik wie mit einem virtuos formulierten Text, dessen Gehalt nicht im Formulierten steckt, sondern erst zwischen den Zeilen gefunden werden kann. Seine strikte Linie, mit der er sein minimalistisches Konzept auf die Bühne überträgt (nicht selten bestreitet er seine Konzerte allein mit der Gitarre, wobei er nicht davor zurückschreckt, sich auf einen Getränkekasten zu stellen, um auch vom hinten stehenden Publikum gesehen werden zu können), hält er seit Jahren aufrecht.

Seine konsequente Anti-Haltung in Bezug auf Text, Instrumentierung, Performance und Selbstdarstellung (s. Foto!) steht im bewussten Gegensatz zum durchgestylten Mainstream, der zurzeit vorwiegend aus Castingshows besteht, die allein der "Mehr ist Mehr"-Philosphie folgen.

Im direkten Kontrast entlarvt Boogaerts diese Maschinerie als Medienphänomen ohne künstlerische Substanz, das zwangsläufig, so prophezeit Dick Annegarn, ein in Frankreich ebenfalls erfolgreicher Songwriter aus den Niederlanden, aus Überdruss des Publikums zu Ende gehen werde. An die Plattenfirma, die Boogaerts einst unter Vertrag nahm, werde man sich aus diesem Grund hingegen noch in tausend Jahren erinnern, so Annegarn Augen zwinkernd mit dem wiederum prophetischen Zusatz: "in China".

© Michael Frost, 26.07.2009


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