Ursprünglich 
          bestand die Absicht, Mathieu Boogaerts in Deutschland mit einer "Best-of"-Compilation 
          vorzustellen. Dazu ist es glücklicherweise nicht gekommen. Denn 
          zu diesem Zweck hätte sein aktuelles Album "Michel" in 
          einzelne Stücke geteilt werden müssen, ein Wagnis, das bei 
          wirklich guten Konzeptalben eigentlich nur schief gehen kann.  
          Und 
            "Michel" ist sogar das Beispiel eines herausragenden Konzeptalbums. 
            Mehrere Akteure der jungen französischen Szene haben sich in 
            den letzten Jahren um Kohärenz ihrer Produktionen bemüht: 
            Benjamin Biolay mit seiner "Rose Kennedy"-Saga, Keren Ann 
            mit ihrem Side-Projekt "Lady & Bird". Beide Alben durchzog 
            eine Geschichte. 
          Mathieu 
            Boogaerts dagegen lässt seine Musik sprechen. "Michel" 
            wird von einem ungewöhnlichen Soundkonzept getragen, das Chanson, 
            Songwriter-Balladen und Karibik-Rhythmus vereint, allerdings in einer 
            ungewöhnlich zurückhaltenden Weise, die den Klang der Instrumente 
            oft nur andeutet. 
          Um 
            diese zurückgenommen Atmosphäre zu erzeugen, hat Mathieu 
            Boogaerts für "Michel" die Idee des Dub auf den Akustik-Pop 
            übertragen. Alle Regler wurden so weit zurückgefahren, bis 
            von Rhythmus und Tempo der Songs nur noch eine Ahnung blieb. Man stelle 
            sich dieses Album vor, aufgenommen von einer Reggae- oder Salsa-Band: 
            das Temperament der Songs wäre überbordend. 
          Doch 
            Boogaerts' Konzept spielt virtuos mit den Empfindungen des Hörers: 
            Viel von dem, was man an Rhythmus und Tempo auf "Michel" 
            zu hören glaubt, findet nur im eigenen Kopf statt. Die Instrumente 
            wurden gewissermaßen durch Illusion und Assoziation ersetzt. 
            Umso mehr lässt sich übrigens entdecken, wenn man mittels 
            Kopfhörer in diesen einzigartigen, äußerst detailreichen 
            und zerbrechlichen Mikrokosmos hineinhorcht. 
          Das 
            Klavier klingt wie in Watte gepackt, ebenso wie die Gitarre um seinen 
            Resonanzkörper beraubt. Der lautmalerische Gesang erscheint spontan 
            und beiläufig entstanden, spontane Mitschnitte eines Tagträumenden, 
            der sich in seiner Phantasie einen äußerst detailreichen 
            und zerbrechlich klingenden Mikrokosmos erschaffen hat, in den man 
            nur mit aller Behutsamkeit, am besten auf Zehenspitzen, hineinhören 
            sollte.
          "Michel" 
            ist bereits das vierte Album von Mathieu Boogaerts, der in Frankreich 
            längst zu den Protagonisten der "Nouvelle Vague", der 
            neuen Chanson-Welle, zählt. Zugleich ist es sein bislang bestes 
            und ausgereiftestes Werk, und das gerade deshalb, weil es so spontan 
            und beiläufig entstanden klingt: Der Chor etwa, der ihn bei einigen 
            Titeln begleitet, besteht aus Mitarbeiterinnen seiner Plattenfirma 
            "Tôt ou tard", und tatsächlich klingen die Frauenstimmen, 
            als hätte er sie, einer neuerlichen Eingebung folgend, direkt 
            von ihren Schreibtischen ins Aufnahmestudio geholt. Auch hier funktioniert 
            es wieder, das Spiel mit Gehörtem und der eigenen Einbildung. 
            
          © 
            Michael Frost, 20.10.2005