Dass 
          sich die französische Szene im Aufbruch befindet, darüber 
          haben wir an dieser Stelle immer wieder mit Begeisterung berichtet. 
          Mittlerweile hat die kreative Stimmung an der Seine auch Leute erfasst, 
          von denen wir das zugegebenermaßen nicht angenommen hätten. 
          Das ehemalige Supermodel Carla Bruni beispielsweise. Doch keine Angst: 
          Die erste Karriere der gebürtigen Italienerin, die seit ihrer Kindheit 
          in Frankreich lebt, war, hört man ihr Album-Debüt "Quelqu'un 
          m'a dit", wahrscheinlich nur ein Umweg, um schließlich zu 
          ihrer wahren Leidenschaft zu finden. Warum immer nur schön aussehen, 
          wenn man ebenso gut schöne Lieder komponieren und texten kann ? 
          Außerdem 
            entstammt sie einer Künstlerfamilie. Ihr Vater war Komponist, 
            die Mutter Konzertpianistin. Carla lernte schon früh Gitarre 
            und Klavier. Doch die Instrumente überließ sie auf ihrem 
            Album überwiegend den "Profis", allen voran ihrem Produzenten 
            Louis Bertignac. 
          Vor 
            allem "natürlich" sollte ihr Album sein, ließ 
            Carla Bruni bei der Frankreich-Veröffentlichung von "Quelqu'un 
            m'a dit" im Herbst 2002 wissen, es sollte keine bestimmte Atmosphäre 
            oder gar Pose vorgeben. Eher so, wie man aussieht, wenn man morgens 
            aufwacht, ungeschminkt, nicht nackt, aber auch nicht wirklich angezogen, 
            sollten ihre Lieder sein - und genauso klingt diese Platte auch. 
          Sanfter 
            Chanson, Blues und Folk bestimmen das Tempo der zwölf Titel auf 
            "Quelqu'un m'a dit", allesamt stille, persönliche, 
            intime und akustische Lieder, die Carla Bruni überwiegend selbst 
            schrieb. Der Titelsong ist eine gemeinsame Arbeit mit Filmregisseur 
            Leos Carrax (u.a. "Die Liebenden von Pont-Neuf") - und daneben 
            fehlt auch die unverzichtbare Referenz an eine der Legenden des Chansons 
            nicht: "La Noyée" von Serge Gainsbourg. 
          Sowohl 
            der Klassiker als auch das eigene Material harmonieren perfekt mit 
            ihrer Stimme: Mit typisch leisem Chansongeflüster, allerdings 
            mit einem rauheren und reiferen Timbre als die meisten ihrer Kolleginnen 
            raunt sie ihre bedächtigen und melancholischen Texte ins Studiomikrofon. 
            Darunter auch einige Titel, die sich ironisch und sehr hintergründig 
            mit der eigenen Vergangenheit beschäftigen. Carla Bruni, so klingt 
            es aus ihren Liedern, hat immer gewusst, dass es ein Leben nach dem 
            Laufsteg geben würde. Entsprechend glaubt sie - im Gegensatz 
            zu dem, was die Branche, der sie entstammt, mit jedem neuen Werbeplakat 
            behauptet - auch an die Schönheit des Lebens jenseits jugendlicher 
            Vergänglichkeit. 
          So 
            beschließt sie ihr Album mit dem tatsächlich exakt eine 
            Minute langen Stück "La dernière Minute". Darin 
            heißt es: "Quand je serai si vieille, quand la peau 
            de ma vie sera creusée de routes, et de traces et de peines, 
            et de rires et de doutes - Alors je demanderai juste encore une minute 
            ..." ("Wenn ich so alt sein werde, dass die Haut meines 
            Lebens von meinen Wegen gezeichnet ist, hinterlassenen Spuren und 
            Schmerzen, Lachen und Zweifeln - dann werde ich um eine weitere Minute 
            bitten ...")
          Leider, 
            so steht zu befürchten, sind nicht jedem Model vergleichbar weitsichtige 
            und lebensweise Gedanken beschieden. Auch deshalb ist Carla Bruni 
            eine Ausnahmeerscheinung. Ihr musikalisches Talent wird schon bald 
            den Erfolg ihrer Model-Karriere in den Schatten stellen.
          Und 
            eben weil sie eine Ausnahme ist, so möchten wir an dieser Stelle 
            dringend von der Nachahmung abraten. Denn nicht grundsätzlich 
            jedes Model, das eine Saison lang mal nicht vom Laufsteg gefallen 
            ist, ist automatisch eine Sängerin. Und schon gar nicht vom Format 
            einer Carla Bruni.
          © 
            Michael Frost, 20. Juni 2003