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Glühende Magma,
perlender Champagner


Ein älterer Herr mit vollem Bart und strengem Blick. So präsentiert sich Juan Carlos Cáceres im Beiheft seines Albums "Utopía". Tatsächlich ist der Argentinier ein Grandseigneur des Tango, ein im positiven Sinne Besessener, der in Buenos Aires tagsüber Kunst studierte und nachts als Posaunist in den Jazzclubs der Stadt auftrat. Er galt als Existenzialist, und so war sein Umzug nach Paris wohl zwangsläufig. 1968 traf er in der französischen Hauptstadt ein: ein "Tsunami aus Magma und Champagner", wie der Pressetext zum Album es formuliert, in dem nahezu unmöglichen Versuch, die Mischung aus Urgewalt und kultivierter Eleganz in Cáceres' Musik in Worte zu fassen.

Cáceres' "Utopía" ist nicht der Tango als Tanz zweier Menschen, sondern zuallererst eine Musikform, die das Zusammenspiel von Musikern erfordert. Folglich ordnen sich seine tangos, milongas und candombes nicht den Erfordernissen der Tänzer unter. Viel wichtiger erscheint ihm die Persönlichkeit der Instrumentalisten. Und so erfährt man beim Hören des Albums viel über die Herkunft der Musiker - und damit der Musik selbst: Tango entstand im Buenos Aires der 20er Jahre beim Zusammentreffen europäischer Einwanderer, den Nachfahren afrikanischer Sklaven, Ureinwohnern und den Nachkommen der Eroberer.

Eine wichtige Rolle spielt dabei ein Fluss: der Rio de la Plata, dessen Mündungsdelta die Nachbarn Argentinien und Uruguay voneinander trennt und doch verbindet. In "Utopía" greift Cáceres gemeinsame Traditionen auf: die "murga", ein in Argentinien und Uruguay gefeierten Karneval, der - im Gegensatz zu den kommerziellen Sambaparaden im Nachbarland Brasilien - sich seine Wurzeln in den Arbeitervierteln der Städte bewahren konnte, wo er einst als Mischung aus Volksfest und politischem Protest entstanden war. Die "murgas" wurden immer wieder verboten, zuletzt während der Militärdiktatur unter General Videla, doch inzwischen erfahren sie eine Renaissance, etwa bei den Demonstrationen der Globalisierungskritiker.

Dieser Tradition erweist Cáceres seine Referenz, und mit ihnen teilt er die Hoffnung auf eine bessere, gerechtere Welt. In seiner Musik spiegelt sich diese Welt bereits wider. Es ist seine Stimme, aber mehr noch die darin zum Vorschein kommende Persönlichkeit und Autorität, die all die Zutaten vergangener und gegenwärtiger Genres zusammenhält. Wie der Italiener Paolo Conte, als dessen südamerikanischer Verwandter Cáceres gelten könnte, dirigiert er sein Orchester fast nach Belieben, inszeniert er Gefühle, Tempo und Rhythmus mit selten erlebter Intensität - ein urgewaltiges Erlebnis aus glühender Magma und perlendem Champagner.

© Michael Frost, 02.12.2007

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