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          habe "ziemlich große Wissenslücken", sagt Karin 
          Clercq, was die französische Musikszene angehe. Viel mehr fühlt 
          sich die in Lüttich geborene Belgierin zu internationalen Kollegen 
          wie Nick Cave, Jeff Buckley oder Portishead hingezogen. Vielleicht sind 
          es diese Einflüsse, denen ihre eigene Musik den tiefgründigen 
          Grundton verdankt, doch ansonsten beherrscht Karin Clercq den Habitus 
          französischer Kolleginnen perfekt: die samtweich flüsternde 
          Stimme, bei der man nie ganz sicher ist, ob sie singt oder rezitiert, 
          die Fähigkeit zum großen Gefühl mit einer Spannbreite 
          zwischen Verlorenheit und bedingungsloser Hingabe.  
          "Femme 
            X" ist das Debüt von Karin Clercq, die ihre Karriere als 
            Schauspielerin begann. Erst durch eine von ihrer Rolle verlangten 
            Gesangseinlage im Kurzfilm "Errances" von Nathalie Jacques 
            kam sie auf den Geschmack. Der Titel, den sie im Film sang, stammte 
            von Guillaum Jouan. Aus der einmaligen Aktion wurde eine langfristige 
            Zusammenarbeit: Jouan komponierte nun auch fast alle Titel für 
            "Femme X", während Karin Clercq die Texte schrieb. 
            
          Mit 
            ihrem Debüt bewegt sie sich an der Grenze zwischen internationalem 
            Alternative-Rock und modernem französischen Chanson, teils überwiegt 
            die weiche und harmonische Seite, dann wieder lässt sie auch 
            schon mal die eine oder andere Gitarre krachen. Die Unberechenbarkeit 
            des Stilmixes, der umstandslos zwischen einer druckvollen Rocknummer 
            wie "Kassandre" und der Coverversion des Gilbert Becaud-Chansons 
            "Je t'ai dans la peau" wechselt, wirkt ungemein selbstsicher 
            und überzeugend - als hätte Karin Clercq nie etwas anderes 
            getan. 
          Die 
            sehr gelungene Balance zwischen Laut und Leise, Hell und Dunkel, Melancholie 
            und Energie macht sie zu einem der hoffnungsvollsten Musikexporte 
            Belgiens, darüber hinaus aber auch zu einer der wichtigsten Erneuerinnen 
            der französischsprachigen Musikszene, die in den vergangenen 
            Jahren zu einer für viele überraschend kraftvollen Aufholjagd 
            gegenüber der angloamerikanischen Dominanz aufholte. 
          Die 
            namenlose Frau, von der Karin Clercq im Titelsong ihres Albums erzählt, 
            die von allen übersehene und sich quälenden Selbstzweifeln 
            unterziehende "Femme X" ("Peut-être suis-je 
            transparente, pas assez differente ..."), hat sicherlich 
            keinen autobiografischen Bezug. Denn Karin Clercq selbst ist alles 
            andere als durchsichtig, alles andere als gleichförmig oder austauschbar 
            - und schon gar nicht zu überhören: Wer sich für progressiven 
            Rock - oder progressives Chanson - begeistern kann, der wird an ihrem 
            Namen jedenfalls nicht vorbeikommen. 
          © 
            Michael Frost, 26. April 2003