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Aus weiter Ferne
- so nah

 

Zugegeben: Seit Wochen kreist der Rezensent skeptisch um ein Album, dessen Inhalt als "mongolisches Obertonjodeln" beschrieben wird - was selbst in aufgeschlossenen Kreisen synonym mit unhörbar für westliche Ohren verwendet wird.

Die Gruppe, die uns diese Musik gewissermaßen zumutet, heißt "Egschiglen", was auch nicht weiter hilft, denn das könnte in den Ohren eines Norddeutschen ebenso bayerische Mundart sein. Die CD heißt "Gereg", und bereits die ersten Töne - ein martialisches "Huhaha!!!", dem ein nicht minder machtvoller Wechselgesang männlicher und weiblicher Chorstimmen folgt, scheinen jedes Klischee des stolzen Reitervolks zu bestätigen.

Dennoch: Es dauert kaum ein paar Minuten, bis man erkennt, das die Entfernung zwischen Bayerischem Wald und monglischer Steppe wohl doch geringer ist als angenommen. Das mag an dem Klang des Hackbretts liegen, mit dem Egschiglen ihren Sound untermalen, an dem Begriff "Jodeln", oder vielleicht einfach nur daran, dass Egschiglen 2007 mit dem "Creole Bayern" ausgezeichnet wurden, einem innovativen Preis für Weltmusik, der jeweils in den Bundesländern vergeben wird.

Tatsächlich gibt es erstaunliche Parallelen zwischen den Alpen-Bewohnern, die sich damit über große Distanz in der Bergwelt verständigen konnten, den Sami, deren "Joiken" Naturphänomene besingt - und den Mongolen, deren Gesangskunst als "rituelles Telefon" (Begleittext zu "Gereg") verstanden werden kann, "bei dem die Tiere, die Flüsse, das Echo der Berge und der Wind imitiert werden".

"Gereg", der Albumtitel, bezeichnet eine silberne Tafel, die den Mongolen zu Zeiten Dschingis Khans als Reiseausweis diente. Als Symbol vereint es kulturelle Herkunft und Weltläufigkeit. Beides findet in der Musik seine Widerhall. Die zum Teil viele Jahrhunderte alten Lieder erzählen von der Schönheit der Landschaft, kleinen Begebenheiten aus dem Leben der Menschen, aber auch ihrer Sehnsucht nach Frieden und spiritueller Erfahrung, für welche die Musik eine zentrale Rolle der Gemeinschaft einnimmt.

Mit Liedern aus verschiedenen Epochen, auch neuen Kompositionen, schlagen Egschiglen immer wieder eine Brücke zur Gegenwart - bis sie am Ende ihrer neuen Heimat eine augenzwinkernde Referenz erweisen. Denn die Band - und damit sei das Rätsel gelöst - fühlt sich Bayern so verbunden, dass sie inzwischen "ihre Jurte im ländlichen Röthenbach an der Pegnitz aufgeschlagen" hat (CD-Booklet), wo sie "ungewohnte Töne zu hören bekommt" - die nun wiederum Eingang in ihre Musik findet. Womit wiederum deutlich wird: Fremdheit ist immer nur eine Frage der Perspektive. Verändert man den Blickwinkel, rückt das Ferne plötzlich ganz nah. Das gilt sogar für mongolisches Obertonjodeln.

© Michael Frost, 15. Dezember 2007

 


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