Sie 
            gehört zu der seltenen Spezies der Künstlerinnen, die man 
            ohne Vornamen nennt, den Nachnamen dafür jedoch groß schreibt. 
            Sie ist eben die GRÉCO, und das bereits seit 1947, als 
            sie in der französischen Presse zur "Muse von Saint-Germain-des-Prés" 
            gekürt wurde. Im befreiten Paris der Nachkriegsjahre wurde sie 
            zur Ikone des existenzialistischen Chansons, gefördert u.a. von 
            Jean-Paul Sartre. Die stets in strengen Formen und gedeckten Farben 
            gekleidete Gréco wirkte stilbildend für die Lebenseinstellung 
            einer ganzen Generation nicht nur in Frankreich, sondern sehr bald 
            auch in anderen europäischen Ländern. Dem Chanson verlieh 
            sie Tiefe, Poesie, und nicht selten auch philosophische Weisheit. 
          
          Inzwischen 
            ist Juliette Gréco stolze sechsundsiebzig Jahre alt und blickt 
            auf eine unvergleichliche Karriere zurück. Sie arbeitete mit 
            Brel, sie veröffentlichte Alben mit Liedern von Françoise 
            Sagan, Guy Béart und Serge Gainsbourg, bevor sie in den 70er 
            Jahren selbst zu schreiben begann. Sie hat nicht nur die meisten ihrer 
            Kollegen, sondern auch sämtliche Moden, Strömungen und Richtungen 
            überlebt, ohne dafür ihre Überzeugungen preisgeben 
            zu müssen. 
          Mit 
            "Aimez-vous les uns les autres ou bien disparaissez" kehrt 
            sie nun auf den Plattenmarkt zurück. Es ist ein Triumph. Nicht 
            nur, weil diese Veröffentlichung in Frankreich als gesellschaftliches 
            Ereignis gefeiert wird. Es ist auch ein musikalischer Glanzpunkt. 
            "Die junge Frau von 76 Jahren" (Radio France International) 
            schart, wie in all den Jahren vorher, eine beeindruckende Zahl von 
            Autoren, Komponisten und Musiker um sich, darunter Wegfährten 
            wie ihren Ehemann Gérard Jouannest und Brels langjährigen 
            Begleiter François Rauber. Mit ihnen bleiben die Verbindungen 
            zur Vergangenheit wach, aber sie garantieren auch das ungebrochen 
            hohe Niveau des intellektuellen Chansons, wie es von Juliette Gréco 
            beispiellos verkörpert wird. 
          Diese 
            Kombination allein würde reichen, um "Aimez-vous les uns 
            les autres ou bien disparraissez" zum Erfolg zu verhelfen. Aber 
            die Gréco hat größere Ansprüche an die eigene 
            Arbeit, und sie hat die Entwicklung des Chansons nie aus den Augen 
            verloren. Also bat sie auch deren junge Vertreter zu sich - und die 
            zögerten nicht. Art Mengo mit seinen Mitstreitern Marie Nimier 
            und Jean Rouaud schrieben einen Titel ("Pour vous aimer"), 
            außerdem Bernard Lavilliers und Gérard Mansed sowie Benjamin 
            Biolay, der das Album mit Jean Lammot produzierte und selbst fünf 
            Stücke komponierte und zum Teil auch textete. Diese Liaison der 
            neuen Stars der französischen Szene mit einem ihrer größten 
            Idole ist zunächst für das Album selbst ein großer 
            Glücksfall, weil die "jungen Wilden" - bei aller Behutsamkeit 
            - für zeitgemäße, moderne Arrangements Sorge trugen, 
            aber darüber hinaus demonstrieren sie die Generationen übergreifenden 
            Möglichkeiten des Chansons.
          Klassik 
            und Moderne dieses ur-französischen Genres finden unter der Regie 
            der ungemein präsenten, reifen Stimme der Gréco zueinander. 
            Bewundernswert, mit welcher Neugier und Begeisterung sich die "alten" 
            Heroen von den Jungen zu neuen Höchstleistungen inspirieren lassen, 
            doch ebenso bewundernswert ist auch der einfühlsame Respekt der 
            neuen Stars vor dem Erfahrungshorizont ihrer Vorbilder und ihre gemeinsame 
            Bereitschaft, voneinander zu lernen und zu profitieren. Dieses beispiellose 
            Zusammenwirken macht einen Teil der Faszination dieser Produktion 
            aus. 
          Doch 
            der größte Teil der Begeisterung gebührt der Sängerin 
            selbst: Juliette Gréco, als Interpretin und Persönlichkeit 
            eine der bedeutendsten Künstlerinnen der Gegenwart.
          © 
            Michael Frost, 22. November 2003