Es
klingt ein wenig nach Wehmut. Françoise Hardy veröffentlicht
erstmals ein "Best-of"-Album und nennt es "Le temps
des souvenirs" - Zeit der Erinnerungen. Nur ansatzweise wird
man als Außenstehender nachvollziehen können, welche Erinnerungen
sie mit den einundvierzig (!) Chansons und Popsongs tatsächlich
verbindet, die sie für die Doppel-CD auswählte. Immerhin
zeichnet sie darauf eine vierzigjährige Karriere nach: die älteste
Aufnahme ("Tous les garçons et les filles") stammt
von 1962, die neuesten von ihrem Album "Tant de belles choses"
von 2004.
Zahllose
Stars und Sternchen hat Françoise Hardy in dieser Zeit aufsteigen
und genau schnell wieder vom Musikhimmel verschwinden sehen. Sie selbst
dagegen blieb eine Konstante, nicht nur aufgrund einer treuen Anhängerschaft,
sondern immer wieder auch von Kritikern geschätzt und mit Preisen
überhäuft - zuletzt erhielt sie 2005 den französischen
"Victoire de la Musique" als beste Interpretin des Jahres
- und schlug dabei sowohl den Nachwuchs (etwa die junge Songschreiberin
Keren Ann) als auch andere Pop-Veteranen wie Les Rita Mitsouko aus
dem Feld.
Folgt
man ihr auf die Reise ihrer Erinnerungen, wird man unweigerlich feststellen,
wie eng die Musik der Françoise Hardy mit der Zeitgeschichte
verbunden ist. Nicht nur, weil sie immer wieder mit den gefragtesten
Künstlern unterschiedlicher Genres zusammen arbeitete - darunter
Georges Brassens ("Il n'y a pas d'amour heureux") und Serge
Gainsbourg ("Comment te dire adieu") - bis hin zu den Musikern
der jungen Szene wie Thierry Stremler ("Grand Hotel") und
internationalen Stars wie Damon Albarn, Iggy Pop und Perry Blake,
sondern auch, weil sie den Zeigeist jeweils gekonnt in ihre Songs
einzubinden wusste. Nie wirkte ihre Musik dabei angepasst, geschmäcklerisch
oder gekünstelt.
Egal,
ob sie klassisches Chanson, Bossanova, Elektropop, Sinti-Swing oder
Rockballaden singt - zu allen Stilen bezieht Françoise Hardy
einen eigenen, individuellen Standpunkt, mit dem sie sich von der
Masse abzuheben weiß. So ging sie einerseits immer mit der Zeit,
blieb jedoch nie in ihr stecken. Das galt für sie bereits zu
Karrierebeginn, als sie - eine zarte 19-Jährige - für Monaco
am Eurovision Song Contest teilnahm und einen beachtlichen fünften
Platz belegte (an die dänischen Gewinner erinnert sich heute
niemand mehr). Ihr Beitrag war das Chanson "L'amour s'en va",
dessen deutschsprachige Fassung "Die Liebe geht" auch ihren
ungewöhnlichen Ruhm in Deutschland begründete (u.a. erhielt
sie sogar den 'Silbernen Otto' der Jugendzeitschrift Bravo). Vor allem
in den 60ern veröffentlichte sie verschiedene deutsche Lieder.
Der vielleicht bekannteste Song: "Frag den Abendwind". Immerhin
einen dieser Titel wählte Françoise Hardy für ihre
Erinnerungen aus: "Träume", Titelsong einer Schallplatte
von 1970.
Trotz
der vielen Höhepunkte und der unzähligen Klassiker, die
mindestens in Frankreich zum Allgemeingut gehören, ist "Le
temps de souvenirs" nicht das Ehrfurcht einflößende
Lebenswerk einer unnahbaren Ikone, sondern die warmherzig-nostalgische
Einladung zu einer Reise in die Welt der eigenen Erinnerungen.
Es
liegt dann in der Erinnerung (und dem Alter) des Zuhörers, Françoise
Hardy in die Vergangenheit zu begleiten, in die Welt von Brassens,
Gainsbourg, Bob Dylan, David Bowie und der Beatles, oder ihren künstlerischen
wie privaten Begegnungen mit Jacques Dutronc, Rockmusiker, Ehemann
und Co-Autor vieler ihrer Songs - oder ihrem gemeinsamen Sohn Thomas,
der heute als Gitarrist zum festen Ensemble ihrer Studiomusiker gehört.
Und
den zu spät geborenen Anhängern bleibt immerhin die Erkenntnis,
wie prägend und Stil bildend der Einfluss von Françoise
Hardy auf die französische Musikszene war und ist. Deshalb dürfte
"Le temps des souvenirs" für heutige wie künftige
Generationen von Songschreiberinnen und Chanson-Interpretinnen das
sein, was man in der Literatur als "Pflichtlektüre"
bezeichnet.
©
Michael Frost, 04.04.2006