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Sirene mit Sinn
für das Absurde


Wer Helena heißt, bekommt den Beinamen "Die Schöne" fast automatisch zugesprochen. "Die schöne Helena" ist eine Figur aus der griechischen Mythologie, die im aktuellen Fall jeoch in der Erscheinung einer jungen Künstlerin portugiesischer Abstammung und belgischem Geburtsort auftritt. "An einem Nachmittag im Herbst oder einem schönen Frühlingsmorgen wurde ich inmitten von Wiesen geboren", plaudert sie in betörendem Singsang zu Beginn ihres Albums "Née dans la nature", umkränzt von säuselnden Hintergrundstimmen: "Shalala". So viel beherzte Ironie ist rar geworden in der Musikszene, und die Fähigkeit, Kitsch in Schönheit zu verwandeln auch.

Helena ist eine Allround-Künstlerin. Die Franzosen entzückte sie bereits mit einem Roman ("L'ennemie est à l'interieur"), und natürlich mit ihrem musikalischen Debüt von 2002, "Azul", einem Bossanova-Album. Produziert wurde es, wie nun auch der Nachfolger, von Philipe Katerine, selbst ein gefeierter Vertreter der Nouvelle Scène ("Les creatures"), der mit ihr neben der musikalischen Version auch den extravaganten Habitus teilt.

Helena, die sich für das Cover-Shooting zu "Née dans la nature" mit einem grotesken Sammelsurium aus Stehlampe, Löwe, Bettgestell und Discokugel umgab, liebt offenkundig das Absurde. Ihre Töne fußen in der Tradition französischer Chansongrößen und ihren zart-lasziven Flüsterstimmen (auch Helena beherrscht dieses Timbre virtuos), aber sie neigt dazu, ihre leisen Balladen mit Science-Fiction-artigen Einsprengseln zu durchbrechen, oder sie mischt eine donnernde Rockgitarre dazu, und dann wieder meint man in ihr die Melancholie aus Beth Gibbons' naturalistischem Album "Out of season" zu erkennen, die lapidare Eleganz von Carla Bruni (mit der Helena die Karriere als Fotomodell teilt) oder die Erotik von Jane Birkin.

In Bezug auf weitere Kolleginnen belässt die schöne Helena es nicht beim Zitat - sie covert gleich den ganzen Song. So wie "Can't get you out of my head". Kylie Minogue, die das Original sang, kann sich schon mal in Grund und Boden schämen: Helena kleidet den Popsong in einen hypnotisierenden Rhythmus, der allein von einer akustischen Gitarre und den bereits erwähnten Hintergrundsängern getragen wird. Das Ergebnis ist weitaus mitreißender und intensiver als das Original, und so langsam wächst der Verdacht:

Die schöne Helena ist in Wahrheit eine Loreley, deren Sirenengesang ihren Zuhörern die Sinne raubt und Schiffe havarieren lässt. Auch im CD-Spieler des Autos scheint Vorsicht durchaus angebracht.

© Michael Frost, 14. Mai 2004


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