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            Millionen Platten habe sie bislang verkauft, heißt es. Die stolze 
            Zahl macht sie zur erfolgreichsten französischen Sängerin 
            der Gegenwart. Auch in Deutschland ist sie immer wieder präsent, 
            nicht zuletzt, weil sie im grenznahen Lothringen in einer zweisprachigen 
            Umgebung aufgewachsen ist. Für ihre Verdienste um die deutsch-französische 
            Verständigung erhält sie im Dezember 2003 sogar das "Verdienstkreuz 
            erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland".
          Inzwischen 
            ist aus der jungen Bluesinterpretin ("Mademoiselle chante ...") 
            eine reife "Femme Fatale" geworden, die sehr offenherzig 
            und selbstbewusst mit ihrem Sex-Appeal umzugehen weiß. "Sexe 
            fort" heißt ihr neues Album, das gleich mit einer Provokation 
            des anderen Geschlechts beginnt: "Où sont les hommes ?" 
            (Wo sind die Männer?). Patricia Kaas begibt sich darin auf die 
            Suche nach Männern, die an die Liebe glauben, die weinen können, 
            sich ihre Schwächen eingestehen und sich selbst eine zweite Chance 
            geben. 
          Solche 
            Männer, höre ich eine Freundin seufzend entgegnen, sind 
            entweder schwul oder längst verheiratet. Patricia Kaas jedenfalls 
            gibt die Hoffnung nicht auf. Vielleicht entspricht Abbé Pierre 
            ihrem Ideal, der berühmte Geistliche, dessen Stiftung sich dem 
            Kampf gegen die Obdachlosigkeit verschrieben hat. Ihm hat sie auf 
            "Sexe Fort" ein Lied gewidmet: "L'Abbé Caillou". 
            Oder der Schweizer Sänger Stephan Eicher ("Taxi Europa"), 
            mit dem sie ein Duett aufnahm ("On pourrait") - bei dem 
            er allerdings kaum zu Wort kommt, denn Patricia Kaas agiert auf ihrem 
            Album mit außerordentlicher Präsenz und lauter als auf 
            ihren früheren Aufnahmen. 
          Würde 
            nicht die Harmonie des Sounds überwiegen, könnte man ihre 
            Musik fast für Rock halten. Bekannte Kollegen Jean-Jacques Goldman 
            schrieben ihr druckvolle Sounds auf den Leib, Frédéric 
            Helbert arrangierte E-Gitarren und schnelle Rhythmen, in denen das 
            Energie geladene Temperament der Kaas zu voller Entfaltung gelangt. 
            Textliche Qualität garantieren Profis wie Renaud, Etienne Roda-Gil 
            oder Francis Cabrel.
          "Sexe 
            forte" zeigt Patricia Kaas auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. 
            Mit ihrer wandlungsfähigen Stimme beherrscht sie das gesamte 
            Spektrum aus Pop, Rock, Blues, Soul und Chanson. Obwohl es im musiktheoretischen 
            Sinne keinen Anspruch erhebt, "Avantgarde" zu sein, wird 
            es durch seine Reife und Perfektion wegweisend für alle echten 
            oder Möchtegern-Superstars dieser Tage. Das Album ist somit Pflichtprogramm 
            für ein ganzes Genre.
          © 
            Michael Frost, 29. November 2003