Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Herausforderung für
die Traditionalisten


Der Fado erlebt eine ungeahnte Renaissance. Immer mehr junge Künstlerinnen, so scheint es, folgen den Spuren dieser alten Gesangstradition, die zu Lissabon gehört wie der Tejo, die Altstadtviertel Alfama und Chiado oder das kühlende Glas Vinho Verde.

In den Bars und Restaurants dieser ehemaligen Metropole der Alten Welt wird der Fado seit Generationen gepflegt. Die Lieder erzählen vom Zauber der Stadt und dem allgegenwärtigen Ozean, Seefahrern und daheim Gebliebenen, Fernweh (oder Heimweh), der Liebe, der unerwiderten und der mit unglücklichem Ausgang. All das beschreibt im Portugiesischen ein einziges Wort: "Saudade".

Auch Mariza, mit ihren erst 28 Jahren eine der hoffnungsvollen Vertreterinnen der jüngsten Generation der Fadosängerinnen, benötigt auf ihrem neuen Album nur knapp zwei Minuten, bis das Wort "Saudade" zum ersten Mal fällt. "Fado Curvo" heißt die CD, es ist erst ihre zweite, doch ihren internationalen Durchbruch hat sie bereits erlebt, seit sie im Februar 2003 bei den BBC Radio3 World Music Awards den Preis als "Best European Artist" erhielt. "Fado en mim" (Der Fado in mir), so der Titel ihres Debüts, erhielt außerdem den Preis der deutschen Schallplattenkritik. In Portugal weiß man um die besonderen Qualitäten Marizas schon etwas länger: Im Jahr 2000 erhielt sie den Preis der besten Fado-Interpretin.

Nun also liegt mit "Fado Curvo" ("curvo" steht für "gewunden, gebogen, nicht gerade" - kurvig also) das zweite Album von Mariza vor. Bereits der Titel lässt erkennen, dass Mariza ebensowenig wie ihre Kollegin Mísia eine Anhängerin des klassischen und gradlinigen Fado ist.

Im Gegenteil: Für manchen Traditionalisten dürfte "Fado Curvo" nicht nur eine kurvige Angelegenheit, sondern geradezu eine Serpentinenstrecke darstellen - denn wann zuvor hat es wohl jemand gewagt, die üblichen Regeln des Fado etwa für die Instrumentalbegleitung (klassische Gitarre, portugiesische Gitarre, akustische Bassgitarre) so deutlich aus den Angeln zu heben, wie Mariza es vorführt ?

Mísia, die den Fado eher intellektualisiert und seine Nähe zum Chanson betont, indem sie Texte von Literaten wie José Saramago und Fernando Pessoa vorträgt, musste sich bereits wegen gelegentlicher Klavier- und Geigenbegleitung rechtfertigen. Aber den Einsatz einer Trompete hat selbst sie bislang nicht gewagt.

Anders Mariza. Sie holt den Fado zurück in die Bars und verrauchten Spelunken des Hafenviertels von Lissabon, und sie verleiht ihrer Vision des Fado eine Komponente der Erotik und des Amusements, die von anderen Interpretinnen bislang nicht oder nur selten betont wurde.

Die Cool-Jazz-inspirierte Trompete, die im Stück "O Deserto" zum Einsatz kommt, ist hierfür das deutlichste Symbol: Was für andere Länder die kleinen Jazz-Clubs und Keller-Kneipen, das bedeutet der Fado für das Nachtleben Lissabons. Und Mariza trägt in unnachahmlicher Weise dazu bei, dass der Fado seine Bedeutung auch im modernen Lissabon - und darüber hinaus - nicht verliert.

© Michael Frost, 22.04.2003

vorschau Mariza Tour-Daten

Tipps zu ähnlichen CDs und Bands:

Mísia, Amélia Muge, Madredeus, Dulce Pontes

[Archiv] [Up]