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Die Seele der
Menschen und
ihrer Stadt

 

 


Hollywood Bowl in Los Angeles, das Opernhaus von Sydney und die Alte Oper in Frankfurt, das Pariser Olympia und die Carnegie Hall in New York, demnächst die Royal Albert Hall in London - das sind Veranstaltungsorte, von denen alle Musiker träumen, in denen aber nur die wenigsten wirklich auftreten können.

Mariza genießt dieses Privileg. In den letzten zwei Jahren gastierte sie in allen genannten Hallen und war darüber hinaus in Thailand, China und Korea, in Kanada und den USA sowie in fast allen Ländern Europas. In Finnland und Island stieg ihr Album "Transparente" sogar in die Top 10 der Charts. Ein zumindest ungewöhnlicher, wenn nicht einzigartiger Erfolg für eine Frau, die nicht Englisch singt, sondern Portugiesisch, die keinen Pop macht, sondern Fado, die nicht von einer Rockband begleitet wird, sondern von einem Ensemble mit einem Trommler, spanischer und portugiesischer Gitarre.

Und dennoch sind die Arenen der Welt für Mariza bedeutungslos. Für eine Fadosängerin gibt es nur einen Ort, der zählt; nur ein Publikum, vor dem sich die wahre "Fadista" als solche erweisen muss. Es ist das Publikum von Lissabon, dort, wo der Fado einst in den Tavernen des Mouraria-Viertels entstanden sein soll, als Ausdruck der Wehmut der Daheimgebliebenen und ihrer Sehnsucht nach ihren Lieben, die auf den Schiffen die Weltmeere bereisten.

Portugal blickt seit jeher auf das Meer, jeder Fluss kennt nur ein Ziel: den Ozean. Und dort, an der Mündung des Tejo, steht der Turm von Bélem, das Wahrzeichen der Nation, und keinen geringeren Ort wählte Mariza als Höhepunkt ihrer bisherigen Karriere, vorbereitet auf einer Sommertour durch die portugiesische Provinz.

Der Rezensent sah sie in Vila Real de Sto. Antonio, auch diese Stadt an einer Flussmündung gelegen, an dessen Ostufer Spanien beginnt, und die Veehrung des Publikums für sie, die derzeit wohl größte Stimme des Fado, war allgegenwärtig. "A Fadista!" - wie zur Bestätigung ihrer Kunst schallen der Sängerin begeisterte Rufe entgegen, wenn ihre Stimme in einer dramatischen Klimax anschwillt und dem Publikum, alten Frauen und jungen Männern gleichermaßen, die Tränen in die Augen treibt, wie es eben nur eine wirkliche "Fadista" versteht.

Marizas Fado bebt, er trauert und er klagt, aber er kann auch fröhlich und von folkloristischer Heiterkeit sein - und immer ist er pure Leidenschaft, genussvolle Kunst und Dokument einer großen Stimme.

Marzia legt Wert darauf, keinen Fado fürs Museum zu singen. Sie wurde in Mocambique geboren, früher eine Kolonie Portugals, doch in Lissabon wuchs sie auf. Die Herkunft öffnet ihr vielleicht den Blick für die Welt. Ihr Fado integriert auf wundersame Weise die Musik des ehemaligen lusitanischen Imperiums: Mocambique, Angola, Cabo Verde, Sao Tomé - und natürlich Brasilien. Dort traf sie Jacques Morelenbaum, den legendären Spezialisten für Orchesterarrangements. Sein Streicherensemble zog weiche Linien durch ihr Album "Transparente", und zu ihrem Auftritt am Torre de Belem reiste der brasilianische Altmeister höchstselbst an, um seine Arrangements zu dirigieren (das Orchester "Sinfonietta de Lisboa" begleitet Mariza an diesem denkwürdigen Abend neben ihrer angestammten Band), und mehr noch: In "Duas lagrimas de Orvalho" greift Morelenbaum zum Cello, dessen tiefer, getragener und eleganter Ton wie eine Entsprechung ihrer warmen Stimme klingt und das Duett zu einem der intimsten Augenblicke des Abends werden lässt.

"Obrigada Lisboa" - Danke Lissabon - sagt Mariza an einer Stelle des Konzerts und meint damit ihr Publikum und die Stadt gleichermaßen. Beide liegen ihr zu Füßen: Den Menschen spricht sie aus der Seele, und die Seele der Stadt verkörpert sie. Eine einzigartige Symbiose, vor deren Hintergrund selbst Erfahrungen in Carnegie Hall und Olympia verblassen müssen, wenn Mariza ihr Konzert mit einer Huldigung an die Ikone des Fado, Amalia Rodriguez, beendet: "O Gente da minha terra" heißt das Lied: Die Menschen meiner Heimat.

© Michael Frost, 01.11.2006

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