Das ehrwürdige Ambiente der Londoner Union Chapel ist nicht unbedingt 
          der Ort, den man mit portugiesischem Fado in Verbindung bringen würden. 
          Doch ausgerechnet dort fand ein außergewöhnliches Konzert 
          der Lissaboner Sängerin Mariza statt, das nun als DVD veröffentlicht 
          wurde. Es gilt, eine Ausnahmevokalistin zu erleben, die nicht nur ihre 
          Zuhörer im heimatlichen Portugal ergreift (dort wird sie mit Auszeichnungen 
          geradezu überschüttet), auch das Londoner Publikum trifft 
          sie mit ihren ausdrucksstarken Interpretationen mitten ins Herz. 
          Sie 
            berührt, ergreift, fasziniert und reißt mit. Im Gegensatz 
            zum zelebrierten Pathos ihrer Kollegin Mísia und dem Engelsgesang 
            von Teresa Salgueiro (Madredeus) klingt Marizas Stimme zupackend und 
            voller Elan, wobei sie über eine Modulationsfähigkeit verfügt, 
            die ihr die Interpretation trauriger Balladen ebenso ermöglicht 
            wie temperamentvolle Volksweisen. 
          Mit 
            ihren beiden bisherigen Alben avancierte Mariza in ihrer portugiesischen 
            Heimat zum Superstar. Ihre CDs verkauften sich dort hunderttausendfach, 
            wodurch auch internationale Agenturen auf die Sängerin mit der 
            unverwechselbaren Frisur aufmerksam wurden. Sie selbst empfindet es 
            jedoch als Vorteil, sich zunächst in der Heimat etabliert zu 
            haben, bevor sie sich auf das Wagnis einer internationalen Karriere 
            einließ. In Frankreich, Spanien und Italien kenne man den Fado 
            bereits seit der legendären Amalia Rodriges, erzählt Mariza, 
            völlig anders dagegen sei jedoch die Situation in Großbritannien 
            und den USA. Dort gilt diese spezielle portugiesische Musik bestenfalls 
            als Geheimtipp. Sie habe es als besondere Herausforderung empfunden, 
            den Fado nach England zu bringen, erzählt sie in einem Interview, 
            das zum Bonusmaterial der DVD gehört.
          Umso 
            höher ist der Erfolg zu bewerten, mit dem Mariza in den nicht-romanischen 
            Ländern ausgezeichnet wurde. In England wurde sie sogar in Jools 
            Hollands "Later"-Show eingeladen, wo sonst nur internationale 
            Rockstars zu Gast sind. Sie lernte Sting kennen, mit dem sie ein Duett 
            für die Olympics 2004-Compilation aufnahm, und sie wurde von 
            der BBC zu einem Fernsehspecial eingeladen. Als Ort für die Aufzeichnung 
            des Konzerts wurde eben die bereits erwähnte Union Chapel ausgewählt, 
            die in der vergangenheit ebenfalls mehrfach für experimentelle 
            Konzerte genutzt wurde, so u.a. von Youssou N'Dour und Björk.
          Mariza, 
            die für sich geltend macht, den Fado in sein traditionelles Umfeld, 
            also die Bars und Restaurants ihrer Heimt zurückzubringen, löst 
            den Widerspruch zum sakralen Kirchenambiente durch ihre besondere 
            Ausdruckskraft, in der Leidenschaft, Romantik, Dramatik und Erotik 
            mitschwingen. Sie animiert das Publikum zum Mitklatschen, begibt sich 
            selbst zwischen die Kirchenbänke - zuletzt sogar gemeinsam mit 
            ihrem kongenialen Ensemble. Dort, wo der Fado herkomme, erklärt 
            sie dem begeisterten Publikum, gebe es keine Bühne, die Musiker 
            seien es gewohnt, direkt zwischen ihren Zuhörern aufzutreten. 
            
          So 
            bildet dieser Abschluss den eigentlichen Höhepunkt des Konzertes, 
            indem Mariza - ohne Mikrofon - ihre gesamte Stimmgewalt ausdrücken, 
            besser: ausleben kann, ein unverwechselbares Timbre aus Chanson, Blues, 
            Jazz und Klassik, das darauf besteht, dass der Fado nicht nur Ausdruck 
            sentimentaler "Saudade" sei, sondern auch fröhlich, 
            kraftvoll und voller echter Leidenschaft - so wie seine derzeit vielleicht 
            bedeutendste Interpretin selbst.
          © 
            Michael Frost, 10.08.2004