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Ein Denkmal
für die Ewigkeit


Carlos Paredes zählt zu den bedeutendsten portugiesischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Seine Instrumentalstücke schrieb er vor allem für die charakteristische 12-saitige portugiesische Gitarre, einige auch für klassische Gitarre, aber wohl niemals hätte er geglaubt, dass man sie eines Tages durch Gesang ersetzen könnte. Künstlerisch unglaublich, technisch unmöglich ? Für Mísia nur eine weitere Herausforderung, wenngleich auch die größte ihrer bisherigen Karriere.

Die Sängerin, die in den vergangenen Jahren den Fado als nationales Kulturgut wiederentdeckt hatte, ihn von Patina befreite, seine Verbindungen zur Klassik hervorarbeitete und ihn schließlich zur Kunstform erhob, geht mit ihrer neuen Produktion wieder einen Schritt weiter. "Canto" ist eine Sammlung von zwölf unsingbaren Gesängen, in denen Mísia die Aufgabe der Gitarre übernimmt und den gefühlvoll elegischen Paredes-Kompositionen eine Stimme gibt. "Mísias Stimme ist ein wunderbares Instrument, mit dem sie dem Zuhörer alle Gefühlsnuancen auf einem unsichtbaren Fluss zutreiben lässt", befand bereits vor einigen Jahren José Saramago, Portugals Literaturnobelpreisträger, dessen Lyrik sie vertont hatte.

Auf "Canto" nimmt sie den umgekehrten Weg. Sie bat den Dichter Vasco Graça Moura, einen der wichtigsten portugiesischen Literaten und Übersetzer der Gegenwart, ihr die Texte zu den Paredes-Kompositionen auf den Leib zu schneidern. Moura kam der Aufforderung nach und schuf einen Reigen von Lyrik, wie er harmonischer nicht sein könnte: perfekt für Mísias helle, strahlende Stimme, mit unglaublichem Einfühlungsvermögen für die Möglichkeiten der technischen Übertragung der Melodie führenden Gitarre auf den Gesang mit völlig anderen Ansprüchen an Metrik, Taktsetzung und Stimmführung.

Vom Ergebnis zeigt sich Mísia selbst überrascht: "Bevor ich es getan habe, wusste ich nicht, dass ich so singen kann. Ich hatte keine Vorstellung davon, was ich da machen würde. Es gibt Stellen, an denen ich fast nur spreche, wie im 'Valsa', wo ich am Anfang nur spreche. (...) Und ich glaube, dass auch durch die Texte Seiten von mir zum Vorschein kamen, von denen ich gar nicht wusste, dass sie da sind."

"Canto" beschreitet einen Weg, der mit dem Fado an sich nur noch wenig Gemeinsamkeiten hat. Mísia bezeichnet sich zwar weiterhin als Fado-Sängerin, doch die Paredes-Kompositionen, so sagt sie, seien an sich anderen Ursprungs: "In Paredes' Musik ist ganz Portugal enthalten. Zu seiner Musik kann man sich alle Regionen Portugals vorstellen oder visualisieren. Sie ist sehr, sehr portugiesisch. Und Fado ist auch in seiner Musik. Aber es ist keine Musik, die spontan an Fado denken lässt."

In Begleitung des Solistenquartetts Camerata de Bourgogne, portugiesischer Gitarre und Fado-Gitarre lässt Mísia eine neue Gattung entstehen, wie sie anmutiger, eleganter und kunstvoller nicht sein könnte. Fado, klassische Ballade und schwelgende Landschaftsmalerei vereinen sich in ihrer hingebungsvollen, ja: berauschenden Stimme.

Sie selbst sagt, sie habe dem seit einigen Jahren schwer erkrankten Paredes (geb. 1927) ein Geschenk machen wollen. Tatsächlich hat sie ihm ein Denkmal für die Ewigkeit gesetzt. "Canto" ist unbestreitbar die wichtigste CD-Veröffentlichung Portugals der letzten Jahre, und der Triumph ihres eigenen Projekts macht Mísia selbst zu einer der bedeutendsten Interpretinnen europäischer Musik unserer Zeit.

© Michael Frost / 12.10.2003

 

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