Darauf 
          muss man erstmal kommen. Wer weiß, in welcher Laune die französischen 
          Multiinstrumentalisten und Produzenten Marc Collin und Olivier Libaux 
          auf den Gedanken kamen, einige der besten Songs der New Wave-Ära 
          neu aufzunehmen, und das gleich so, dass man sie oft gar nicht wiedererkennt. 
          Vielleicht begann das Projekt als Sprachspiel: "New Wave" 
          - 'neue Welle' heißt auf Portugiesisch "Bossa nova", 
          und auf Französisch eben "Nouvelle vague", übrigens 
          mittlerweile auch die Bezeichnung für die junge Pop-Chanson-Szene. 
          So fügt sich sprachlich ineinander, was musikalisch diametral auseinander 
          strebt: Zarte Frauenstimmen, rhythmischer Latinsound und der Düsterpop 
          der 80er mit seiner bestechenden Mischung aus Elektro, Punk und Weltschmerz. 
          So 
            mancher, dem Collin und Libaux vorab von ihrem Projekt berichtete, 
            wird dankend abgewunken haben: Das klappt nie. Tut es aber doch - 
            und wie. Schon der Eröffnungstitel, Joy Divisions Klassiker "Love 
            will tear us apart" schmeichelt sich, unterstützt von leisem 
            Meeresrauschen und sparsamen Percussions, in den Gehörgang, und 
            man denkt an Joyce, an Astrud Gilberto, an Bahia und Rio de Janeiro. 
            Würde Nouvelle-Vague-Stimme Eloisa jetzt Portugiesisch singen, 
            die Illusion wäre perfekt. 
          Es 
            grenzt an ein Wunder, was Collin und Libaux aus Stücken wie "Guns 
            of Brixton" (The Clash) oder "Too drunk to fuck" (Dead 
            Kennedys) heraushören. Ihre Interpretation lehnt sich an die 
            psychedelischen Sounds der späten 60er Jahre an, wie man sie 
            aus Truffaut- und Chabrolfilmen kennt. Das Vorhaben, etwa die Sisters 
            of Mercy oder XTC unter brasilianischer Sonne in völlig neuem 
            Licht erscheinen zu lassen, ist mit Sicherheit eines der spannendsten 
            Experimente des Jahres.
          Zu 
            den absoluten Highlights des Albums dürften jedoch vor allem 
            drei Titel gehören. Da wäre zunächst "This is 
            not a love song" (Public Image Limited). Neben der Reibeisenstimme 
            des Original, der man den Songtitel ohne weiteres abnahm, wirkt dank 
            der lasziv rauchigen Stimme von Gastsängerin Melanie Pain und 
            der coolen Barjazz-Arrangements geradezu stimulierend.
            Eine wirkliche Herausforderung und Zumutung für Puristen dürfte 
            allerdings das Ergebnis der Bearbeitung von Depeche Modes Synthiepop-Hymne 
            "Just can't get enough" sein. Libaux und Collin zogen das 
            Tempo des Songs deutlich an und setzten es mit treibenden Percussions, 
            brasilianischen Trommlern und feurigem Sambasound neu zusammen, kurzum: 
            Depeche Mode wurde mitten in den Karneval von Rio verlegt. Vor dem 
            geistigen Auge sieht man die feiernden Massen förmlich tanzend 
            durch die Straßen ziehen - ein ganz neues Lebensgefühl 
            für die typischerweise schwarz gekleideten Epigonen einer Zeit, 
            in der Postpunk, Elektro und Industrial das Lebens- und Rhythmusgefühl 
            der "Waver" formulierten.
          Nicht 
            bei allen Stücken gelang es jedoch wirklich, die Schwermut und 
            Verzweiflung des New Wave-Sounds wirklich vollständig zu vertreiben 
            - am wenigsten sicherlich bei der Bearbeitung des elegischen "The 
            forest", von The Cure seit Jahren in einer 15-Minuten-Fassung 
            als donnernder Abschluss ihrer Konzerte zelebriert. Dem Song haftet 
            ein Ausmaß an Melancholie und Verzweiflung an, das auch von 
            "Nouvelle Vague" nicht vollständig vertrieben werden 
            kann. Marina Celeste, die den Song hier interpretiert, bewahrt den 
            Charakter des Titels deshalb gekonnt mit betont zurückhaltender 
            Stimme, "an der auch Robert Smith seine Freude hätte", 
            wie Collin und Libaux vermuten.. Am Ende scheint der Song zu leisen 
            Marimbaklängen (im Original dröhnt hier der hypnotisierende 
            Bass von Cure-Mitglied Simon Gallup) und dem Gezwitscher tropischer 
            Vögel irgendwo im brasilianischen Regenwald zu verschwinden - 
            mitsamt seiner geheimnisvollen Atmosphäre. "Der Song wird 
            immer ein Makeup-verschmiertes Mysterium bleiben", geben die 
            beiden Franzosen in Anspielung auf Robert Smiths charakteristisch 
            geschminktes Gesicht zu, "bloß jetzt gehört das zerlaufene 
            Mascara zu einer Frau". 
          © 
            Michael Frost, 10. September 2004
          