In
der Blütezeit des Britpop waren sie im Dauerstreit zwischen Blur
und Oasis die lachenden Dritten: Während die beiden Bands sich
im Kleinkrieg verzettelten, kümmerten sich Jarvis Cocker und Gefolge,
genannt "Pulp" um das Eigentliche - die Musik. Ihr künstlerisches,
nicht immer als solches verstandenes Meisterwerk "This is hardcore"
ist ein Klassiker der britischen Rockmusik, doch anstatt den hohen Erwartungen
auf das Nachfolgewerk zum Opfer zu fallen, schalteten Pulp erstmal ein
paar Gänge zurück und ließen sich Zeit - ganze drei
Jahre.
Während
dieser Zeit scheint sich im Leben der Band einiges ereignet zu haben.
"We love life" ist ein überraschend harmonisches Album,
die bekenntnishafte Lebensbejahung bleibt nicht beim Albumtitel stehen,
sondern setzt sich in den einzelnen Titeln fort und läutet eine
Art "Back to nature" ein, oder: Es sollte der Weg zurück
"ans Licht" sein, so Jarvis Cocker.
Aber
natürlich haben Pulp ihre hintersinnige Ironie beibehalten, den
kritischen Unterton, mit dem sie das Album schon im Opener "Weeds"
einläuten, einer Art Hymne an das nicht vergehende Unkraut, dass
sich trotz Kultivierung, Anpassung und Ausbeutung seine Wildheit bewahrt
und sich nicht domestizieren lässt.
Ökosozialismus ? Warum nicht, Cocker äußert neuerdings
in Interviews seine Bewunderung für die Grünen und die Leistungen
der Umweltbewegung, und auf der Single-Auskopplung "The trees"
erinnert er daran, dass man die Bäume brauche, um atmen zu können
- banale, aber im Zeitalter des Turbokapitalismus oft verdrängte
Erkenntnisse, die hier plötzlich wieder aufgegriffen und sogar
mit einer praktischen Aktion verbunden werden: Von jeder in Großbritannien
verkauften CD werde ein Penny zur Anpflanzung neuer Wälder ("Pulp
forest") verwendet, um den mit der Herstellung der CD verbundenen
CO2-Ausstoß wieder zu kompensieren.
Vögel,
Rehe, der Sonnenaufgang und der Lauf verschmutzter Flüsse sind
oberflächlich betrachtet die zentralen Themen von "We love
life", aber immer gibt es eine Story hinter der Story, in der
es um Menschen geht, ihre Beziehungen zueinander, sowohl individuell
als auch gesellschaftlich. Es ist viel Symbolik im Spiel, wenn Cocker
im Schlusssong davon singt, eigentlich hasse er den Sonnenaufgang
dafür, auf alles zu scheinen, was er getan habe, und das sterbende
Reh am Straßenrand ("Roadkill") wird zum Symbol einer
zu Ende gegangenen Liebe.
In
musikalischer Hinsicht liefern Pulp erneut den Beweis dafür,
dass es in der aktuellen Musikszene nur einen Trend gibt, und zwar
den, dass es gar keinen gibt. Alles ist erlaubt: Und während
Bands wie Radiohead, Bristols Triphop-Szene oder Björk eher dem
Minimalismus frönen, halten Pulp mit der gleichen Berechtigung
an der bisweilen barocken Opulenz ihres Sounds fest und schichten
ihre satten Klangvisionen genussvoll aufeinander, wie man es von ihnen
gewohnt ist.
Es
ist in diesen Wochen viel vom "Ende der Spaßgesellschaft"
die Rede. "We love life" scheint die These zu unterstreichen,
weil mit dem Album eine lang vermisste Ernsthaftigkeit in die Rockmusik
zurückkehrt. Auch deshalb ist "We love life" ein mutiges
Album, aber ohne den früher obligatorisch erhobenen Zeigefinger,
sondern eines, in dessen Melodien und Arrangements man schwelgen kann.
Michael
Frost, 10. November 2001
Foto: musik100.de