Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Mut zur Ernsthaftigkeit


In der Blütezeit des Britpop waren sie im Dauerstreit zwischen Blur und Oasis die lachenden Dritten: Während die beiden Bands sich im Kleinkrieg verzettelten, kümmerten sich Jarvis Cocker und Gefolge, genannt "Pulp" um das Eigentliche - die Musik. Ihr künstlerisches, nicht immer als solches verstandenes Meisterwerk "This is hardcore" ist ein Klassiker der britischen Rockmusik, doch anstatt den hohen Erwartungen auf das Nachfolgewerk zum Opfer zu fallen, schalteten Pulp erstmal ein paar Gänge zurück und ließen sich Zeit - ganze drei Jahre.

Während dieser Zeit scheint sich im Leben der Band einiges ereignet zu haben. "We love life" ist ein überraschend harmonisches Album, die bekenntnishafte Lebensbejahung bleibt nicht beim Albumtitel stehen, sondern setzt sich in den einzelnen Titeln fort und läutet eine Art "Back to nature" ein, oder: Es sollte der Weg zurück "ans Licht" sein, so Jarvis Cocker.

Aber natürlich haben Pulp ihre hintersinnige Ironie beibehalten, den kritischen Unterton, mit dem sie das Album schon im Opener "Weeds" einläuten, einer Art Hymne an das nicht vergehende Unkraut, dass sich trotz Kultivierung, Anpassung und Ausbeutung seine Wildheit bewahrt und sich nicht domestizieren lässt.
Ökosozialismus ? Warum nicht, Cocker äußert neuerdings in Interviews seine Bewunderung für die Grünen und die Leistungen der Umweltbewegung, und auf der Single-Auskopplung "The trees" erinnert er daran, dass man die Bäume brauche, um atmen zu können - banale, aber im Zeitalter des Turbokapitalismus oft verdrängte Erkenntnisse, die hier plötzlich wieder aufgegriffen und sogar mit einer praktischen Aktion verbunden werden: Von jeder in Großbritannien verkauften CD werde ein Penny zur Anpflanzung neuer Wälder ("Pulp forest") verwendet, um den mit der Herstellung der CD verbundenen CO2-Ausstoß wieder zu kompensieren.

Vögel, Rehe, der Sonnenaufgang und der Lauf verschmutzter Flüsse sind oberflächlich betrachtet die zentralen Themen von "We love life", aber immer gibt es eine Story hinter der Story, in der es um Menschen geht, ihre Beziehungen zueinander, sowohl individuell als auch gesellschaftlich. Es ist viel Symbolik im Spiel, wenn Cocker im Schlusssong davon singt, eigentlich hasse er den Sonnenaufgang dafür, auf alles zu scheinen, was er getan habe, und das sterbende Reh am Straßenrand ("Roadkill") wird zum Symbol einer zu Ende gegangenen Liebe.

In musikalischer Hinsicht liefern Pulp erneut den Beweis dafür, dass es in der aktuellen Musikszene nur einen Trend gibt, und zwar den, dass es gar keinen gibt. Alles ist erlaubt: Und während Bands wie Radiohead, Bristols Triphop-Szene oder Björk eher dem Minimalismus frönen, halten Pulp mit der gleichen Berechtigung an der bisweilen barocken Opulenz ihres Sounds fest und schichten ihre satten Klangvisionen genussvoll aufeinander, wie man es von ihnen gewohnt ist.

Es ist in diesen Wochen viel vom "Ende der Spaßgesellschaft" die Rede. "We love life" scheint die These zu unterstreichen, weil mit dem Album eine lang vermisste Ernsthaftigkeit in die Rockmusik zurückkehrt. Auch deshalb ist "We love life" ein mutiges Album, aber ohne den früher obligatorisch erhobenen Zeigefinger, sondern eines, in dessen Melodien und Arrangements man schwelgen kann.

Michael Frost, 10. November 2001
Foto: musik100.de

Tipps zu ähnlichen CDs und Bands:

Richard Ashcroft, Blur, Oasis