Was
war zuerst: Der Film oder der Soundtrack ? Nun, in der Regel verhält
es sich wohl so, dass zunächst ein Film gedreht wird, dem dann
entsprechende Musik hinzugefügt wird. Im glücklichsten aller
Fälle unterstreicht dann der Soundtrack die Filmhandlung, hebt
hervor, wo etwas hervorzuheben ist, nimmt zurück, wo zurückgenommen
werden soll, verdichtet die Atmosphäre. So gelang es Yann Tiersen
mit seiner Musik für den französischen Überraschungs-Kinohit
"Die fabelhafte Welt der Amélie".
Der
hinreißende Film wurde weit über die französischen
Grenzen hinweg praktisch allein durch Mund-zu-Mund-Propaganda zum
Riesenerfolg, und um sich wenigstens ein Stück der wahrhaft fabelhaften
Welt der Amélie mit nach Hause nehmen zu können, griffen
zahllose Kinobesucher zum Soundtrack von Yann Tiersen und spülten
dessen Album völlig unerwartet in die Charts.
Jetzt
legt Yann Tiersen endlich nach. "L'Absente", die "Abwesende",
ist ein extrem abwechslungsreiches und deshalb sehr gewagtes Projekt,
das mit dem Attribut "cineastisch" am treffendsten umschrieben
werden kann, obwohl es zu diesem Album gar keinen Film gibt, vielleicht
nie geben wird. Tiersen jedoch schreibt Filmmusiken auch ohne Film,
und so muss man sich selbst behelfen, die Bilder im eigenen Kopf entstehen
lassen, und hierbei gewährt er allerlei Unterstützung.
Zwischen
beherzte Musette, fröhliche Kirmes, moderne Chansons und melancholische
Klassik führt seine Reise, auf die ihn illustre Gäste wie
Lisa Germano, Dominique A und Les Têtes Raides begleiten. Tiersen
selbst begnügt sich mit allen nur denkbaren Instrumenten (vom
Klavier über Geige zum Bass bis zur Schreibmaschine), lediglich
bei "L'echec" hört man ihn im leisen Sprechgesang im
Wechsel mit Natacha Régnier: ein Chanson so richtig à
la française.
Seine
Ausbildung erhielt der Pariser an verschiedenen Musikschulen in Frankreich.
Dort lernte er auch das Dirigieren - doch heute ist der Multi-Instrumentalist
sein eigenes Orchester, mit dem er seit 1995 - da erschien sein Debüt
"La valse des monstres" - seinen Hang zur cineastischen
Komposition auslebt und Filme musikalisch umrahmt, die nur in seinen
Kompositionen existieren.
"L'absente"
ist deshalb mehr als nur die neue CD von Yann Tiersen: es ist sein
neuester Film. Ein Hörfilm, der sich auch in deinem Kopf abspielen
könnte. Und wieder eröffnet sich eine fabelhafte Welt. Die
von Yann Tiersen, und deine eigene !
Michael
Frost, 02. Februar 2002