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Die Illusion ist perfekt


Eine eigenwillige Melange ist es, die Pierre und Gil Emery da auftischen. Einerseits klingt das vierte Album, das sie unter ihrem Bandnamen "Ultraorange" veröffentlich so Französisch, wie eine CD nur französisch klingen kann. Andererseits wird überhaupt kein einziges Wort Französisch gesungen. Und die Musik entführt geradewegs in die verqualmten Beatkeller der 60er Jahre. Man wähnt junge Männer mit Pilzkopf-Frisuren, mit Anzug und Krawatte ebenso tadellos gekleidet wie ihre Begleiterinnen in Rock oder Kostüm und toupierten Frisuren - verzückt und ausgelassen tanzend zu psychedelischem Gitarren-Pop.

"Oh Bunny you're so fine // but you think you live in '69" - kein Wunder angesichts des so authentisch klingenden Sixties-Beats, dass der Begriff "Retrosound" fast unangebracht scheint. Soweit der erste Eindruck. Doch zurück zum Anfang.

Pierre und Gil Emery arbeiten bereits seit Mitte der 90er Jahre zusammen. In Deutschland blieb ihre Formation bislang überwiegend unbemerkt, doch in Frankreich feiert man ihren Indie-Rock als adäquate Antwort auf Bands wie Garbage. Auf ihrem neuen Album arbeiten sie erstmals mit Emmanuelle Seigner zusammen.

Die Schauspielerin (berühmt wurde sie 1985 durch ihre Rolle in Jean-Luc Godards Film "Détective" und 1988 an der Seite von Harrison Ford in Roman Polanskis Paris-Thriller "Frantic") folgt mit dieser "Zweit"- bzw. Drittkarriere (ursprünglich startete sie als Model) zahllosen Kolleginnen: In Frankreich ist die Festlegung auf eine Kunstsparte eher unüblich.

Und so kann Emmanuelle Seigner auch als Sängerin ihr darstellerisches Können voll ausspielen: Scheinbar mühelos schlüpft sie in die Rolle der Beatsängerin, die mit hinreißender Präzision so ungekünstelt und spontan wirkt wie all die großen Bands, die man heute manchmal in den Schwarz-Weiß-Aufnahmen des "Beatclub"-Fernseharchivs von Radio Bremen wiederentdecken kann.

Dabei gelingt ihr noch die besondere Kunst, ihren Gesang so klingen zu lassen, als könnte sie gar nicht singen und sei eher zufällig in die Verlegenheit geraten, in einem Aufnahmestudio zu stehen. Ebenso wie die Sprache: Ein so perfektes Nicht-Französisch gelingt noch nicht einmal Jane Birkin - doch die ist Engländerin und singt überwiegend Französich, während Emmanuelles französisches Timbre so kultiviert klingt, wenn sie Englisch singt, als hätte sie es extra antrainieren müssen. Vielleicht war dies der eigentlich Job des im Booklet erwähnten Vocal Coachs Frédéric Faye.

Die Illusion ist perfekt: Kein Retro-Sound, sondern echter 60s-Klang, mehr zufällig erst 2007 aufgenommen; eine englisch singende Französin, die vorgibt, weder singen zu können noch Englisch - und dennoch beide Disziplinen mit Perfektion beherrscht. Und als reichte als das noch nicht, legt das Trio noch einen veritablen Hit hin: Der Opener "Sing Sing" ist ein absoluter Ohrwurm, und noch nicht einmal der einzige, den dieses irritierend schöne Album zu bieten hat. Betrachten wir es daher als Gesamtkunstwerk.

© Michael Frost, 28.07.2007


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