Benjamin 
          Biolay verbindet seine Jugend mit einem besonderen Handicap, das er 
          rückblickend aber auch als Glücksfall empfindet: Er wuchs 
          mit den B-Seiten der Beatles-Singles seiner Eltern auf. Die A-Seiten 
          waren vom vielen Abspielen zerkratzt und unhörbar. Doch so entdeckte 
          er die wahren Perlen der Fab Four: "Come together", B-Seite 
          von "Something", oder "Strawberry Fields Forever", 
          die Rückseite von "Penny Lane".  
          Doch 
            diese Begebenheit muss sich bereits nach dem Ende der Beatles abgespielt 
            haben. Biolay ist Jahrgang 1973. Musik war in der Familie dennoch 
            immer präsent, Benjamin setzte sich früh mit der Musik seiner 
            Eltern auseinander, suchte nach eigenen Vorbildern und fand sie mal 
            in Bob Dylan, mal in Bob Marley, mal in Serge Gainsbourg. 
          Er war 
            auf der Suche nach dem passenden Instrument, doch im Alter von fünf 
            oder sechs Jahren mit einem lächerlichen Geigenkasten durch die 
            Straßen zu laufen, das empfand er als überhaupt nicht glamourös. 
            Mit dreizehn spielte er dann Tuba im Blasorchester von Villefranche-sur-Saône, 
            seinem Heimatort - auch nicht sonderlich glamourös, aber Respekt 
            einflößend. Auch sein Vater hatte dort schon musiziert. 
            Der Wechsel zur Posaune eröffnete schließlich neue Perspektiven 
            und führte den jungen Benjamin Biolay an das Konservatorium von 
            Lyon. 
          Dort 
            lernte er das Handwerkszeug für seine schon jetzt außergewöhnliche 
            Karriere, doch an deren Beginn standen einige wenig erfolgreiche Versuche, 
            sowohl als Solo-Künstler als auch mit einer Band in der Musikbranche 
            Fuß zu fassen. 
          Erst 
            seine Begegnung mit der jungen Sängerin Keren Ann Zeidel wendete 
            die Dinge zum Guten. Die beiden wurden eines der erfolgreichsten Songwriter-Gespanne 
            der neuen Szene in Frankreich. Zunächst machten sie sich an die 
            Arbeit zu Keren Anns Solo-Debüt. Der Erfolg dieses Albums ließ 
            dann einen Veteranen des französischen Chansons, zudem eines 
            der Idole von Benjamin Biolay, aufhorchen: Henri Salvador. 
          Henri 
            Salvador habe ihn schon früh berührt, lässt Biolay 
            auf seiner Website wissen. Vor allem die "transparente Stimme" 
            und der perfekte Ausdruck hatten es ihm angetan. Gainsbourg dagegen 
            hatte in ihm die Lust zu schreiben geweckt, Charles Trenet die Lust 
            zu komponieren.
          Henri 
            Salvador war auf der Suche nach Impulsen für ein neues Album, 
            und das Doppel Biolay/Zeidel schrieb ihm mehrere Stücke für 
            ein fulminantes Comeback: "Chambre avec vue", das zu einem 
            der meistbeachteten Alben der letzten Jahre wurde und unter anderem 
            die Hit-Single "Jardin d'hiver" beinhaltete. Dass Salvador 
            heute auch als "französischer Compay Segundo" (Buena 
            Vista Social Club) bezeichnet wird, geht eindeutig auf das Konto von 
            Biolay und Keren Ann.
          Auch 
            für seine Schwester Coralie Clément komponierte Biolay. 
            "Salle des pas perdus", so der Album-Titel. 
          Der Drang, 
            es schließlich doch noch einmal selbst zu versuchen, wird durch 
            die Erfolge seiner Arbeit für Dritte weiter gewachsen sein - 
            schließlich war die Solokarriere immer das eigentliche Ziel 
            von Benjamin Biolay, und inzwischen hat er auch das erreicht. Seit 
            sein erstes Solo-Album "Rose Kennedy" im Mai 2001 in Frankreich 
            veröffentlicht wurde, gilt Biolay als eine Art Allheilmittel 
            zur Rettung des französischen Chansons, dessen Erneuerung er 
            mit Hilfe internationaler Einflüsse betreibt, wie sie auch auf 
            "Rose Kennedy" allgegenwärtig sind: Jazz, Blues Bossa 
            und Pop, treibende, druckvolle Rhythmen und mondäne James-Bond-Orchestersounds. 
            
          Biolay 
            selbst lehnt seine Nähe zum Chanson kategorisch ab. Überhaupt: 
            An Jacques Brel etwa lässt er kein gutes Haar: zu "jammerig" 
            sei dessen Musik gewesen. Dem SPIEGEL sagte er, Chanson rieche für 
            ihn "nach kaltem Rauch und alten Schuhen". Wenn das als 
            französisch gelte, wolle er damit nichts zu tun haben. 
          Mittlerweile 
            er begonnen, die "Musique du Papa", wie er das Chanson abfällig 
            nennt, kräftig aufzumischen, und das nicht nur mit seinen eigenen 
            Alben. Mit seiner zweiten CD "Négatif" (2003) festigte 
            er seinen Ruhm, doch zu seinen größten Trophäen dürften 
            die Kooperationen gehören, an denen er parallel arbeitete: Mit 
            "Fleuve Congo" bescherte er Valérie Lagrange nach 
            17-jähriger Albumpause ein glänzendes Comeback, und auch 
            Juliette Gréco veröffentlichte 2003 ein neues Album, das 
            die deutlich erkennbare Handschrift von Benjamin Biolay trägt. 
            
          Inzwischen 
            gilt seine Aufmerksamkeit jedoch vor allem einer Frau - seiner eigenen. 
            Chiara Mastroianni hatte bereits an den Aufnahmen zu "Négatif" 
            als Background-Sängerin teilgenommen, doch nun ist sie gleichberechtigt 
            neben ihrem Ehemann auf ihrem ersten gemeinsamen Album zu hören: 
            "Home". Schon wird das junge Paar in einem Atemzug mit Serge 
            Gainsbourg und Jane Birkin genannt, oder mit Paul und Linda McCartney. 
            Die Vergleiche mögen übertrieben wirken, doch eines ist 
            unbestreitbar: Benjamin Biolay hat eine große Zukunft vor sich. 
            Fraglich ist nur, was seine Kinder einst sagen werden, zur "Musiqe 
            du Papa" ?
          © 
            Michael Frost, 12.10.2002
            Update: 19.06.2004
          