Die 
            Franzosen nennen ihn den "kleinen subversiven Prinzen des Rock", 
            in Anlehnung an einen Titel seines Album-Debüts und natürlich 
            den Helden der Novelle von Antoine de Saint Exupéry, der seinen 
            Planeten verließ, um schließlich zu sich selbst zu finden. 
            Inwieweit der Vergleich zwischen dem "Petit Prince" und 
            Damien Saez wirklich zutreffend ist, bleibt an dieser Stelle offen, 
            doch in einer Hinsicht ist die Übereinstimmung evident: Beide 
            bezaubern, nehmen gefangen, geben alles, vertreten unbeirrbar ihre 
            Überzeugungen.
          Erst 
            zwei Alben hat Damien Saez - zum Zeitpunkt seines Debüts 1999 
            war er gerade 22 - veröffentlicht. Bereits das erste machte ihn 
            praktisch über Nacht bekannt. Umso überraschender der Nachfolger, 
            der den Erstling noch um Längen schlägt: Eine wirkliche 
            Sensation, doch in Deutschland völlig unbekannt, vielleicht mit 
            Ausnahme derer, die ihn im Frühjahr 2002 in einer Aufzeichnung 
            für die ARTE-Reihe "Music Plante 2 Nite" sahen, wo 
            er einige der Titel seines aktuellen Albums "God blesse ..." 
            vorstellte.
          Aufgrund 
            der berauschenden Vielseitigkeit seiner Musik - auf "God blesse" 
            reicht sie von der klassischen Symphonie über französisches 
            Chanson à la Brel, brillianten Pophyhmen nach U2-Manier, mit 
            Radiohead vergleichbaren Postrock-Klangwelten bis zur psychedelischen 
            Mini-Oper und zurück - wird Saez gelegentlich auch als Chamäleon 
            bezeichnet. 
          Doch 
            auch dieser Vergleich hinkt: Denn im Gegensatz zur Echse ist sein 
            Ziel nicht Anpassung und Unauffälligkeit in der jeweiligen Umgebung, 
            sondern das genaue Gegenteil. Damien Saez hebt sich zielgenau von 
            seiner Umgebung ab, profilscharf und krachend laut, wo andere verstummen, 
            flüsternd und leise, wo man lärmenden Rock erwarten würde. 
            
          Jacques 
            Brel hätte seine Freude an diesem Enkel gehabt. Saez, der eine 
            klassische Konservatoriumsausbildung mitbringt, die ihm die technische 
            und künstlerische Umsetzung seiner Visionen erlaubt, ist ein 
            Wanderer zwischen realer und poetischer Welt. Wie Brel, der immer 
            wieder Gesellschaftskritik und Chanson miteinander verwob und das 
            eine für das andere zu nutzen wusste, so nutzt auch Saez das 
            Chanson für die Politik - dies allerdings in selten gehörter 
            Deutlichkeit. 
            
           
            Schon der Album-Titel "God blesse ..." ist eine ironisch-bittere 
            Warnung gegen die US-amerikanische Weltpolizei, die der Welt unter 
            dem Deckmantel des Kampfs gegen den Terrorismus ihre Ordnung aufzwingen 
            will. Saez wütet mit Liedern wie "Je veux du nucléaire" 
            gegen den Welt umspannenden Kapitalismus und die so genannten "Global 
            Player". Auch das eigene Land bekommt gelegentlich den Zorn des 
            jungen Politpoeten zu spüren: Bereits ein paar Tage nach dem 
            ersten Urnengang zu den französischen Präsidentschaftswahlen, 
            die den Vertreter der rechtsextremen "Front National" als 
            Zweitplatzierten in die Stichwahl katapultierte, stellte Saez ein 
            eigens komponiertes Lied zum kostenlosen Download ins Internet: "Fils 
            de France" (Kinder Frankreichs), eine Hymne des Multikulturalismus 
            und Fanal gegen die rassistischen Lebenslügen des vermeintlichen 
            "Nationalstaates". 
          Doch 
            mit gleicher Verve widmet er sich auch der leisen Poesie. Brel, dessen 
            poetische Landschaftsbeschreibungen unvergessen sind, sang über 
            Amsterdam, Flandern, natürlich Paris. Saez singt über "Saint 
            Pétersbourg", und das anrührend schöne Lied 
            reiht sich die Liste chansonesquer Landschaftsbilder nahtlos ein, 
            doch von ebenso magischer Energie sind auch Lieder wie "Les hommes", 
            "Menaces mais libres" und "Voici la mort", düstere 
            Epen in surrealistischen Klangfarben.
          Damien 
            Saez selbst scheint von seinem phänomenalen Erfolg gar nicht 
            so überrascht zu sein. In Interviews präsentiert er sich 
            selbstbewusst und abgeklärt, wortgewandt und kämpferisch. 
            Er ist vielleicht einer ersten Vertreter einer neuen, jungen Generation, 
            die sich, von den Dogmen, Ideologien und Irrungen der Kalten-Kriegs-Generation 
            befreit, ganz neu formiert, sich eigenständig artikuliert und 
            den Vorwurf der Undifferenziertheit achselzuckend mit einkalkuliert. 
            
          Dass 
            diese Form der Direktheit in Frankreich auf so große Resonanz 
            gestoßen ist, spricht nicht nur für Damien Saez als Künstler, 
            sondern wirft auch ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der Gesellschaft, 
            in der Saez offenbar ein Vakuum ausfüllt, das entstehen konnte, 
            weil die politische Klasse den Kontakt und das Gespür für 
            die Jugend des Landes längst verloren hat. 
          Ansätze 
            eines solchen Vakuums sind dabei kein auf Frankreich begrenztes Phänomen. 
            Auch in Deutschland ist die Kluft zwischen Politik und Jugend spätestens 
            seit dem so genannten "Erwachsenwerden" der Grünen 
            wieder deutlich tiefer geworden. Beneidenswertes Frankreich, das in 
            dieser Situation über Sprachrohre verfügt wie einen Damien 
            Saez.
          © 
            Michael Frost, 01. Dezember 2002
          