Einen 
            wirklich guten Musiker erkennt man wohl am besten daran, dass er auch 
            nach unzähligen Veröffentlichungen, einem treu ergebenen 
            Stammpublikum, einem mehr oder minder festgelegten Image noch willens 
            und fähig ist, Experimente einzugehen und sich neu zu erfinden. 
          
          Den 
            selbst angelegten Pfad zu verlassen, um abseits des Weges nach neuen 
            Klängen und Rhythmen zu suchen und daneben auch inhaltlich auf 
            der Höhe der Zeit zu sein, das ist für den routinierten 
            und eingespielten Künstler vielleicht die schwierigste Herausforderung, 
            der er sich noch stellen kann.
          Wahrscheinlich 
            deshalb ist die Zahl von Musikern und Bands von solch herausragender 
            und zeitloser Qualität eines Lucio Dalla so gering. Immerhin 
            fast dreißig Jahre sind seit dem Platten-Debut des gebürtigen 
            Bolognesers vergangen, und noch immer ist er für Überraschungen 
            gut - besser - am besten. 
          Sein 
            neues Projekt heißt "Luna matana" und beginnt verhalten, 
            sphärisch und nachdenklich ("Chi sarò io" - 
            "Wer werde ich sein ?"), mit einem ganzen Chor im Hintergrund, 
            aber bereits mit "Siciliano", in Italien die erste Single-Auskopplung, 
            geht es richtig zur Sache. "Siciliano" ist eine Liebeserklärung 
            an die von Natur- und kriminellen Gewalten geschundene Insel und eine 
            Verbeugung vor ihren Bewohnern, die sich trotz aller Widrigkeiten 
            ihre Lebensfreude, ihre Würde und ihre Toleranz bewahrt haben.
          Die 
            Sterne meinen es gut mit Lucio Dalla: Absolut alles will ihm auf "Luna 
            matana" gelingen. Es gibt perfekte Beispiele für seine herausragende 
            Qualität als "Cantautore", außerdem deftige Ethno-Pop-Rhythmen 
            ("Zingaro"), allesamt wunderbar instrumentiert, zum Großteil 
            unter Einbeziehung eines unaufdringlichen Orchesters - und nicht zu 
            vergessen "Baggio Baggio", eine Ode an den großen 
            italienischen Fußballhelden der 90er Jahre. 
          Dalla 
            hat immer wieder aktuelle Themen aus allen nur denkbaren Bereichen 
            aufgegriffen. Dem Film-Freak (er besitzt über 250 DVDs) gelingt 
            es dabei, selbst mehr als nur kleine musikalische Hörspiele zu 
            erschaffen, Lieder, deren Texte kleine Geschichten erzählen, 
            die es ihm ermöglichen, seine Botschaften gewissermaßen 
            literarisch kunstvoll zu verpacken, anstatt mit dem erhobenen Zeigefinger 
            auf das Publikum loszugehen. Es ist aus dieser besonderen Fähigkeit 
            zu verdanken, dass Dalla als einer der überzeugendsten und glaubwürdigsten 
            Musiker Italiens gilt, und einen erneuten Beweis seiner Qualitäten 
            liefert auch "Luna matana", benannt übrigens nach seinem 
            Wohn- und Arbeitssitz in "Cala Matana" auf den Tremitischen 
            Inseln (Apulien). Wenn er des Nachts in seinem Studio komponiere, 
            so Dalla in einem Interview, benötige er keine künstliche 
            Beleuchtung, sondern allein das Licht des Vollmonds. Das Album habe 
            er also nach dieser besonderen Lichtstimmung benennen wollen: "Luna 
            matana". 
          In 
            reichen und bunten Klangfarben breitet Dalla seine poetischen Lieder 
            aus. Es gibt bei ihm keine oberflächliche Effekthascherei, die 
            sich bereits beim dritten oder vierten Hören des Albums verraten 
            und entsprechend schnell verbrauchen würde. "Luna matana" 
            fesselt durch die Vielseitigkeit und Komplexität der Lieder, 
            Finesse und Reichtum an bildhaften Texten, Melodien und Arrangements 
            und hat daher etwas bleibendes, magisches, anziehendes - wie der Mond.
          MF 
            / 27.10.2001