Es
ist etwas an diesem Album, dass man nicht mehr davon loskommt. "Feel
what I feel, do what I do" lautet der Appell gleich zu Beginn,
und tatsächlich, man fühlt sofort mit der Musik. Etwas Beklemmendes
liegt in der Luft. Die französische Songwriterin Keren Ann und
der isländische Bandleader Bardi Johannsson (Bang Gang) bauen ihre
Stimmung langsam auf. "Do what I do" ist eine Ouverture, süßlich
und säuselnd, doch die Zuspitzung schwingt hier bereits mit. Was
hier passiert, ist nicht geheuer.
Im
Stile des 60er Jahre Retro-Sounds, der an Airs Soundtrack zu "The
Virgin Suicide" erinnert, wird im zweiten Song "Shepard"
vorgestellt. Die Figur bleibt unentdeckt, spricht ihren Text mit dunkel
verzerrter Stimme aus dem Off, doch die Botschaft ist klar. Nur Shepard
kann Kontakt zu zwei Kindern aufnehmen. Die sind, gefangen in den
Körpern von Erwachsenen, für ihre Umwelt unsichtbar. Shepard
gibt den beiden Kindern also die fiktive Gestalt eines Marienkäfers
("Ladybird"): "To the girl I said: You are Lady. To
the boy I said: you are Bird, but you cannot fly".
Damit
beginnt die seltsame Geschichte von Lady und Bird, die von Keren Ann
und Johannsson in lautmalerischen Bildern erzählt wird, minimalistisch
und elegisch ("The morning after"), in psychedelischem Retrosound
("Run in the morning sun"), zum Weinen schönen Balladen
("Walk real slow") und klaustrophoben Dialogen ("La
Ballade of Lady and Bird"): Ein Album wie im Drogenrausch, erweitert
um zwei Coversongs: "Suicide is painless" (Altman/Mandel)
und "Stephanie Says" (Velvet Underground).
Im
Verlauf der Geschichte laufen die Kinder Gefahr, ihre kindliche Reinheit
zu verlieren, erklären Keren Ann und Johannsson in Interviews.
Nicht aus Boshaftigkeit, sondern aufgrund eines natürlichen Drangs
nach Anerkennung verändere man sein Wesen.
Im
Falle von Lady und Bird ist dieser Anpassungsdrang zum Scheitern verurteilt.
Sie verzweifeln an der fehlenden Aufmerksamkeit ihrer Umwelt. Alle
Hilferufe fruchten nichts: für ihre Umgebung bleiben sie unsichtbar.
"Was, wenn wir von der Brücke fallen und uns niemand auffängt
?", fragt Lady, bevor sich beide angstvoll in die Tiefe stürzen:
"Ich kann nichts sehen." - "It's all in your mind",
antwortet Bird am Ende und gibt damit schließlich das Credo
dieses exzentrischen Konzeptalbums preis. Es spielt sich alles im
Kopf ab, und das gilt auch die Bilder zu "Lady & Bird".
Es sind bedrückende und beängstigende Bilder, die sie mit
ihrer Musik erschaffen, Bilder, die Kinder zum Weinen bringen können
und Erwachsene erschauern lassen.
Doch
Keren Ann und Bardi Johannsson weisen jede Verantwortung mit einem Augenzwinkern
von sich. Schließlich gilt: "It's all in your mind".
©
Michael Frost, 15. Dezember 2003