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In Melodien schwelgen


Nur für Kenner des AIDS-Benefiz-Samplers "Red Hot + Lisbon" von 1998 dürften die elektronischen Grenzgänge der portugiesischen Gruppe Madredeus keine Überraschung gewesen sein: Die Compilation enthält bereits einen Remix des Titels "Os dias sao da noite" von dem spanischen Produzenten Suso Saiz. Außerdem hatte Jah Wobble 1996 zwei Remixe der Madredeus-Titel "Alfama" und "Pregao" veröffentlicht.

Doch "Electronico" mit insgesamt 13 völlig umgearbeiteten Versionen geht weit über diese ersten Versuche hinaus. Das Experiment ist durchaus gewagt, ist doch völlig unklar, wie die vielen Anhänger von Madredeus, die ihre Karriere mit portugiesicher Folklore, Fado und klassischen Harmonien begannen, dieses Album aufnehmen werden. In jedem Fall unterstreicht die Gruppe mit "Electronico" nachdrücklich ihre Verweigerung gegenüber musikalischem Schubladendenken und stilistischer Einseitigkeit.

Madredeus luden verschiedene Remixer und Electropop-Pioniere ein, sich an "Electronico" zu beteiligen. Sie stellten ihnen jeweils frei, an welcher der Band-Kompositionen sie sich "abarbeiten" wollten und ließen so völlig unterschiedliche Bearbeitungen entstehen.

Der Norweger Ralph Myerz mixte "O sonho" zu einer Gitarren-Popballade, deren Grundrhythmus an das Remix-Album "Versus" der Kings of Convenience erinnert. Mit den dänischen Chillout-Spezialisten "Banzai Republik" ist eine weitere skandinavische Formation an "Electronico" beteiligt. Sie unterlegen "O mar" naheliegenderweise mit Brandungsrauschen und eingestreuten Synthesizer-Klängen, Percussions und widerhallenden Gesangssequenzen von Teresa Salgueiro. Die wellenartigen Einsprengsel von Klängen und Stimmen setzen das Thema des Liedes in ebenso einzigartiger Weise um wie Al Johnson, der in der Melodie von "Ao longe o mar" geradzu schwelgt.
Mit besonderer Behutsamkeit arbeiteten auch James Bright und Steve Miller ("Lux") an "Haja o que houver" und "A lira". Miller äußert dabei größten Respekt vor der Stimme von Teresa Salgueiro, die er fast in der Originalform belässt, um sie lediglich in ein anderes, sehr sphärisches und harmonisches Klangkonzept einzubetten.

Die britische Band Alpha ("The impossible thrill") verwandelt "Vem" mit einem coolen Jazz-Beat und orchestralen String-Arrangements in einen Triphop-typische Filmsoundtrack, und auch der Meister solcher Sounds, der Bristoler Komponist und Orchester-Arrangeur Craig Armstrong lässt es sich nicht nehmen, den Madredeus-Sound in seinen dunklen Klangkosmos zu integrieren.

Als vergleichsweise respektlos dagegen offenbart sich das französische Elektropop-Trio Télépopmusik, denn sie machen auch vor der Stimme Teresa Salgueiros nicht Halt, sondern zerstückeln ihren Gesang im Computer, verfremden die für Madredeus typischen Klänge klassischer Gitarre und verzichten ansonsten auf alles, was nicht elektronischer Herkunft ist. Dem Thema des Albums kommen sie damit sicherlich besonders nah, und sie entfernen sich vom gewohnten Madredeus-Klang am weitesten, ohne dass aber, und dies ist die erstaunliche Botschaft des Albums, die Faszination der Portugiesen darunter leiden würde.

Und insofern ist die Gefahr den einen oder anderen Puristen zu verprellen, vielleicht längst nicht so groß wie die Chance, mit diesem gelungenen Crossover-Experiment die Anhänger elektronischer Musik auch für die akustischen Alben von Madredeus zu begeistern und ihrer Karriere neue Impulse zu geben.

 

Michael Frost, 1. August 2002

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Craig Armstrong, Kings of Convenience, Alpha

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