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Anarchisches
Fusion-Experiment


Wenn die berüchtigten All-inclusive-Touristen in die Dominikanische Republik einfallen, dann bekommen sie in der Regel vom Land, seinen Bewohnern und ihrer Kultur so gut wie gar nichts mit, und wenn doch, dann in folkloristischen Häppchen, die alles mögliche widerspiegeln, bloß nicht die Wirklichkeit und den kulturellen Reichtum des Landes, für den sich vermutlich nur eine Minderheit der Urlauber ernsthaft interessiert.

Der französische Jazz-Trompeter Antoine Illouz kam vor einiger Zeit auf Einladung der Alliance Française nach Santiago de los Caballeros und brachte in den nur drei Wochen seines Aufenthaltes eine Gruppe von einheimischen Musikern und einem Sänger zusammen, die sich fortan "Rezerv" nannten und sich ohne weitere Umstände an die Produktion eines gemeinsamen Albums machten, das im Frühjahr 2000 mit dem Titel "Radio Amigo" veröffentlicht wurde.

Die Idee zu dem Projekt schleppte Illouz schon seit 1997 mit sich herum. Damals war er zum ersten Mal mit seinem Jazz-Quintett in Santiago de los Caballeros aufgetreten. Den Kontakt zu weiteren Musikern stellte später der Percussionist Cukin Curiel her, der das Quintett in Santiago als Gastmusiker begleitet hatte. Er holte mit Fernando Acosta einen weiteren Percussionisten dazu, außerdem den jungen Rap-Sänger Jorge Luis Burgos. Für "La casa baila", einen Raï-Titel, kamen Youcef Boukella und Mehdi Askeur als arabische Sänger aus Nordafrika dazu.

Gemeinsam mit weiteren Musikern und Tontechnikern aus Paris, darunter die aus Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) stammende Sängerin Fabian Dali und der Sound-Chef des Nationalorchesters von Barbès, der aus Portugal stammenden Luis Saldanha, entwickelten sie den pulsierenden Multikulti-Sound ihrer Band "Rezerv", von der sie sagen, dass ihre Mitglieder den Beweis einer gemeinsamen Motivation der multikulturellen Ressourcen Paris' erbrächten. Die Musik gibt ihrer Behauptung Recht:

"Radio Amigo" vereint den Jazz von Illouz mit der traditionellen Musik der Kariben und typischen Rap- und Hiphop-Elementen. Freche, unkonventionelle, manchmal anarchische Klänge und Rhythmen, die an Manu Chaos Ethno-Punk-Zeiten mit Mano Negra ebenso erinnern wie an Sergent Garcia, Bob Marley, Arrested Develepment oder McSolaar - Funk, Dub, Raï, spanischer und französischer Rap verschmelzen auf "Radio Amigo" zu einem temperamtvollen und Energie geladenen Fusion-Experiment der besonderen Art - den Antoine Illouz kongenial auf der Trompete begleitet bzw. zusammenhält.

Rezerv bestritten nach der Album-Veröffentlichung mehrere Konzerte in Frankreich, bevor sie im April 2000 in die Dominikanische Republik zurückkehrten und dort in mehreren Santo Domingo, Santiago und Puerto Plata auftraten.

Das oft gescholtene, weil viel zu pauschale Etikett "Weltmusik" findet bei Rezerv endlich seine wahre Bestimmung. "Radio Amigo" hat seine Wurzeln in so vielen unterschiedlichen Ecken der Welt, dass man sich gar nicht auf einen bestimmten Ort festlegen kann. Aber es zeigt sich, wie bereichernd es sein kann, diese Orte einmal genauer zu betrachten.

Die ignorant-dekadente All-Inclusive-Mentalität wird man dazu allerdings ablegen müssen.

Michael Frost
/ 12. Januar 2002

"Radio Amigo" ist in Deutschland nur als Frankreich-Import erhältlich. Zum Beispiel über den Internet-Versand des französischen Medien-Kaufhauses FNAC.

 

Tipps zu ähnlichen CDs und Bands:

Manu Chao, Mano Solo, 123 Soleils, Mano Negra, Sergent Garcia

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