Seit
jeher verehren die Portugiesen ihre größten Stimmen. Amalia
Rodrigues wird wohl auf ewig die "Königin des Fado" bleiben,
auch wenn sich mit Sängerinnen wie Mariza und Mísia würdige
Nachfolgerinnen positionieren konnten. Andere, weniger dem Fado verpflichtete
Stimmen sind die der Jazz-Sängerin Maria João - und eben
Teresa Salgueiro, Gesicht und Stimme von Madredeus, der wohl berühmtesten
und international erfolgreichsten Band Portugals.
Seit
Mitte der 80er Jahre feiert die von Pedro Ayres Magalhães und
Rodrigo Leão internationale Erfolge, bereiste praktisch den
gesamten Erdball und gastierte in den bedeutendsten Konzertsälen
der Welt - und das mit einem Sound, wie er portugiesischer nicht sein
könnte: getragen, elegisch, mit Einflüssen aus europäischer
Klassik, Lissaboner Fado und der Folklore des Alentejo, und spielerisch
im Umgang mit der elektronischen Gegenwart.
Doch
die inspirierten Visionen von Magalhães und Leão wären
nichts ohne sie, ohne Teresa Salgueiro, deren einzigartige Stimme
über der Musik zu schweben scheint. Im Unterschied zu ihren Kolleginnen,
die mal intellektuell, mal derb und burschikos, leidenschaftlich und
lasziv klingen können, ist der Gesang der Salgueiro rein und
unschuldig, sprich: nicht von dieser Welt.
So
kommt es nicht von ungefähr, dass sich zahllose Kollegen der
internationalen Musikszene seit Jahren darum reißen, mit ihr
zusammen arbeiten zu dürfen. Wim Wenders machte sie praktisch
zur Hauptdarstellerin seines Films "Lisbon Story", und als
Madredeus die europäische Electronica-Avantgard einlud, ihre
Songs zu remixen, ließen sich Soundtüftler wie Craig Armstrong,
Télépopmusik oder Ralph Myerz nicht lange bitten.
Über
die Jahre entstanden so immer wieder auch Kooperationen abseits von
Madredeus. Teresa Salgueiro hat einige von ihnen nun unter eigenem
Namen, als Solo-"Debüt", auf einem Album veröffentlicht.
Die Idee sei ihr durch ein Tape gekommen, das ihr ein Fan nach einem
Konzert zugesteckt hatte, erzählt sie. Mit "Obrigado"
(Danke) wolle sie nun veranschaulichen, "welch weite Reise ich
stilistisch und geografisch sowohl mit Madredeus als auch alleine
zurückgelegt habe."
Tatsächlich
reicht die Spannbreite der vierzehn Titel, wie auch die Resonanz von
Madredeus, einmal rund um die Welt, angefangen mit José Carreras,
mit dem sie bereits mehrfach auf der Bühne standen. Zwei gemeinsam
eingespielte Titel ("Haja o que houver" und "Manha
de carnaval") finden sich auf "Obrigado". Auch der
japanische Akkordeon-Virtuose Yasuhiro Kobayashi "Coba"
(u.a. begleitete er schon Björk auf ihrer 1997er "Homogenic"-Tour)
zeigte sich derart fasziniert, dass er zwei Stücke für Madredeus
schrieb, die er dann in Lissabon mit Teresa Salgueiro und Pedro Ayres
Magalhães aufnahm ("Sol nascente" und "A promessa").
Portugal und Japan können sich kaum jemals näher gewesen
sein als in diesen beiden Kompositionen.
Weniger
überraschend, allerdings nicht minder überzeugend ist die
Arbeit Salgueiros mit Caetano Veloso ("Mistério de Afrodite")
und dem Fadogitarristen António Chainho. Dessen mit Teresa
Salgueiro produzierter Titel "Sombra (Fado Nocturno)" wurde
bereits auf einer CD des AIDS-Hilfe-Projekts "RED HOT" veröffentlicht
(Red Hot + Lisbon, 1998).
Bis
heute unveröffentlicht war dagegen das Dokument eines "Gipfeltreffens"
portugiesischer Gesangskunst, ein gemeinsamer Auftritt von Teresa
Salgueiro und der Jazz-Vokalistin Maria João mit ihrem Pianisten
Mario Laginha, der das Stück "Vozes" (Stimmen) extra
zu diesem Anlass geschrieben hatte.
Die
musikalisch ungemein abwechslungsreiche Zusammenstellung, zu der auch
der hypnotisierende Remix des Madredeus-Songs "Pregão"
gehört, der hier von Jah Wobble mit Tablas, Sitar und dumpfen
Beats inszeniert wird, erscheint als Hommage an die Sängerin
und ihre engelsgleiche Stimme.
Darüber
hinaus dokumentiert sie auch die schüchterne Bescheidenheit Salgueiros.
Denn das Album wird entgegen aller Erwartung nicht von ihr, sondern
dem italienischen Cantautore Angelo Branduardi eröffnet. Ihr
gemeinsames Lied erzählt vom Aufenthalt Franz' von Assisi in
Venedig, wo in dem Augenblick seines Gebets alles vor Ehrfurcht erstummte.
So verhält es sich stets auch, wenn Teresa Salgueiro zu singen
beginnt.
©
Michael Frost, 19.01.2006