Für 
          die Pioniere der Electronica-Szene und der "Quiet is the new Loud"-Bewegung 
          ist Weihnachten eine wirkliche Herausforderung. Einerseits will das 
          romantisch-verträumte "Fest der Liebe" so gar nicht zur 
          kalten Soundfrickelei von Computerkünstlern wie St. Etienne oder 
          Opiate passen, andererseits müssen Songwriter wie Erlend Øye 
          (Kings of Convenience) oder Low aus Minnesota darauf achtgeben, mit 
          ihrem Akustiksound nicht voreilig als Hausmusik unterm Weihnachtsbaum 
          abgetan zu werden. 
          Die 
            Beteiligten des Samplers "Seasonal Greetings" meistern die 
            Untiefen mit Bravour. Die "Compilation of 13 Christmas and Winter 
            Songs" (Untertitel) vereint einige der innovativsten Soundtüftler, 
            Songwriter und Electronicaprojekte der letzten Jahre zu einer unverhofft 
            stimmungsvollen Sammlung leiser und poetischer Wintermelodien, denen 
            eines völlig fehlt: die falsche Glühweinromantik vorweihnachtlicher 
            Einkaufszonen, das kitschige Pathos von Knabenchören und Blockflötenkonzerten. 
            
          Wohl 
            nicht von ungefähr wurde Kompiler Heiko Hoffmann auf seiner Suche 
            nach modernen Weihnachtsklängen vor allem im nordischen Umfeld 
            fündig: Dort dauert der Winter bekanntlich am längsten, 
            und die Verbindung von Musik und Natur hat in Skandinavien eine lange 
            Tradition, die schon früh auch von Elektro-Künstlern aufgegriffen 
            wurde. 
          Der 
            Däne Thomas Knak stellt sein Talent gleich zweifach unter Beweis: 
            unter seinem Künstlernamen "Opiate" erzählt er 
            eine digitale "Snow Story", angereichert durch eine akustische 
            Gitarre. Der Grundton des Songs erinnert an seine Kooperation mit 
            Björk auf deren Album "Vespertine". Mit seinen beiden 
            Partnern hört man Thomas Knak als "Future 3" noch einmal: 
            "It's that time again" lautet der verheißungsvolle 
            Titel, mehr wird nicht verraten, doch auch hier rauscht und raschelt 
            es mit minimalistischem Aufwand. "I wanna know" singt eine 
            Frauenstimme aus dem Off, doch was genau sie wissen will, das bleibt 
            ihr Geheimnis. 
          Überhaupt 
            bleiben in der Intimität des Albumsounds viele Geheimnisse verborgen. 
            Und auch das tut gut in einer Zeit, die Besinnlichkeit predigt, aber 
            Stress produziert. Zu entdecken gibt es auf "Seasonal Greetings" 
            reichlich: den verschrobenen Sound von Domotic, das elegische "Winter 
            will set you back" von Hood, die Leichtigkeit von Hermann & 
            Kleine ("Catch a snowflake"), die fantastischen Isländer 
            Múm, die das Album mit "Nóttin var svo ágæt 
            ein" beschließen, und natürlich den bereits erwähnten 
            Norweger Erlend Øye, dem die vielleicht größte Überraschung 
            gelingt: Er hat sich des normalerweise kaum mehr zu ertragenden Wham-Klassikers 
            "Last Christmas" bemächtigt und daraus eine unprätenziöse 
            Ballade mit akustischer Gitarre geformt, von derselben klaren und 
            schlichten Schönheit wie skandinavisches Glasdesign. 
          Die 
            Musik kann die Feiertage retten.
          © 
            Michael Frost, 20. Dezember 2003