Er 
          nennt es "Studio", aber es ist ein Museum. Sein Museum. Hier 
          bewahrt er seine kostbarsten Schätze auf. Nicht etwa solche, die 
          er selbst schuf, seit er in den 60er Jahren mit seinem Co-Autoren Etienne 
          Roda-Gil seine ersten Lieder schrieb, sondern jene, die sein eigenes 
          Werk maßgeblich beeinflusst haben dürften; Vorlagen, die 
          zur Quelle der eigenen Kreativität wurden. "Studio" vereinigt 
          einige der Perlen der internationalen, vorwiegend amerikanischen Unterhaltungsmusik, 
          der Welt des Jazz und der Musicals. "Jour de Brouillard" etwa. 
          Nie gehört ? Doch ! Allerdings auf Englisch - "A foggy Day", 
          ein Evergreen von den Gershwins, jetzt zu hören in Julien Clercs 
          privater Ausstellung. Adaptiert von Jean-Loup Dabadie.  
          Für 
            andere Titel zeichnen weitere klangvolle Namen der französischen 
            Chanson-Szene verantwortlich. Für die traditionelle Linie steht 
            der Name von Maxime Le Forestier, selbst ein großer Songschreiber, 
            ebenso wie der Star der "Nouvelle Scène" Benjamin 
            Biolay. Er überarbeitete "Dancing in the Dark" zu "Le 
            Bal des Adieux", traurig-schön wie seine eigenen Kompositionen. 
            
          "Studio" 
            ist eine Sammlung von All-Time-Favourites von "The Way you look 
            tonight" (Fields/Kern) bis "You do something to me" 
            und "Night & Day" (beide von Cole Porter). Julien Clerc 
            stellt sie in seinem Museum in originalgetreuer Version vor, will 
            sagen, nichts an den Arrangements und Instrumentierungen weist darauf 
            hin, dass es sich hierbei um Aufnahmen aus dem 21. Jahrhundert handelt 
            (ausgenommen die technische Qualitität des Sounds). Das ist gewagt, 
            weil ansonsten jeder Künstler, der sich mit der Musik dieser 
            Zeit beschäftigt versucht, einen eigenen, aktuellen Zugang zu 
            dem alten Material zu finden. 
          Clerc 
            ist daran offensichtlich nicht interessiert. Vermutlich geht er davon 
            aus, dass die Kompositionen für sich selbst sprechen, und damit 
            liegt er goldrichtig. Also engagierte er einige der feinsten Musiker 
            Frankreichs und lud sie in sein Museum (Verzeihung: Studio) ein und 
            spielte die Lieder mit ihnen ein: Pianist und Arrangeur Jean-Claude 
            Petit, die Violinisten Florin Niculescu und Jean-Luc Ponty, die Gitarristen 
            Bireli Lagrene, Philip Catherine und Toots Thielemans, den Saxophonisten 
            Manu DiBango. Ergänzt um ein komplettes Orchester spielen sie 
            die alten Stücke mit einer lässigen und entspannten Selbstverständlichkeit, 
            die seit den Originalaufnahmen nur den wenigsten Coverversionen gelangen.
          Die 
            Musiker haben die Grundstimmung der ausgewählten Titel perfekt 
            verinnerlicht. Also vermeiden sie jede Anstrengung, jede aufgesetzte 
            Inszenierung - sie spielen einfach, und Clerc singt einfach. Überwiegend 
            allein, oder im Duett mit Gesangsschönheiten wie Carla Bruni 
            oder Veronique Sanson. 
          Die 
            französische Szene ist hörbar in Bewegung. Patrick Bruel 
            spürte auf "Entre Deux" den Chansontraditionen des 
            Paris der 20er und 30er Jahre nach. Benjamin Biolay folgt den Spuren 
            von Serge Gainsbourg. Clerc gesellt sich mit einer neuen Facette dazu. 
            Ein unausgesprochenes Credo scheint sie zu verbinden: In der Vergangenheit 
            liegt der Schlüssel zur Zukunft. So vermitteln es nur die wirklich 
            guten Museen.
          © 
            Michael Frost, 27.05.2003