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"Zu viele
gute Songs"

 

 


Als er die Studios Ferber in Paris betrat, sei er spontan begeistert gewesen, erzählt Nick Cave: "Das ist toll. Alt und abgehalftert, genau wie wir." Wir, das sind Cave selbst und seine kongeniale Band, The Bad Seeds, erstmals allerdings in der Besetzung ohne den ausgestiegenen Berliner Blixa Bargeld.

Das Pariser Studio, in dem Nick Cave und Band das Doppelalbum "Abatoir Blues/The lyre of Orpheus" aufnahmen, atmet den Charme der 60er und 70er Jahre. Das gesamte Equipment stammt aus dieser Zeit, in der Serge Gainsbourg und Johnny Halliday ihre großen Erfolge feierten, Referenzen also, auf die auch Nick Cave sich berufen könnte.

Längst gehört der gebürtige Australier zu den ganz großen Songwritern der Gegenwart, und, dies vorweg, auch die aktuelle Produktion wird seinem Ruf mehr als gerecht. Was die Komplexität seines Sounds angeht, hat er nochmals zulegen können. Fast rauschhaft muss der Entstehungsprozess der Songs gewesen sein, bis tatsächlich eine Auswahl vorhanden war, von der man sich - trotz aller Vorbehalte gegen Doppelalben - nicht mehr trennen mochte. Cave: "Häufig sind Doppelalben einfach zu überwältigend ... Aber da waren zu viele gute Songs, ich hatte nicht das Herz sie auszumustern, also teilten wir sie auf."

Und zwar auf zwei von ihrem Grundsound her recht unterschiedliche Alben. Während "Abattoir Blues" direkt an den kraftvollen, drängenden Rocksound des Vorgängers "Nocturama" (2003) anknüpft, so orientiert sich "The lyre of Orpheus" eher an den elegischen Sounds von "No more shall we part" (2001).
Gemein ist beiden Teilen der aktuellen Veröffentlichung jedoch die überzeugende Umsetzung, der bodenständige, erdige Grundton, die über jeden Zweifel erhabenen lyrischen Qualitäten der Texte, und schließlich die Tatsache, dass es dem Meister und seinen Mitstreitern erneut, vielleicht mehr als je vorher, gelungen ist, als Kollektiv zu erscheinen.

Vielleicht war es der Ausstieg von Blixa Bargeld, vielleicht die nostalgische Studioatmosphäre, vielleicht der Pariser Frühling 2004, der die Band noch einmal enger zusammenrücken ließ. Caves Gesang wurde live aufgenommen, während er Klavier spielte. Vielleicht sind es auch die genialen Chorarrangements (London Community Gospel Choir), die "The Abattoir Blues/The lyre of Orpheus" exakt zu dem "stürmischen, treibenden, unerbittlichen" (Pressetext) Album werden ließen, das es werden sollte - ebenso, wie "The lyre of Orpheus" - auf seine elegische, ungleich leisere, manchmal hypnotisierende Weise.

So entlarvt sich der Ausspruch von der alten, abgehalfterten Band schließlich erwartungsgemäß als Selbstironie. In Wirklichkeit gilt: Abgehalftert, das sind die anderen. Nick Cave and The Bad Seeds dagegen streben noch immer ihrem kreativen Höhepunkt entgegen - und sind mit diesem Doppelalbum wieder ein gutes Stück voran gekommen.

© Michael Frost, 28. September 2004

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