"Richard
Hawley sings and plays ..." heißt es im Booklet, und
dann folgt die Liste verschiedener Gitarren, die auf "Coles Corner"
zum Einsatz kommen. "... sings and plays", das das
erinnert an den Titel eines Chet Baker-Samplers, Meister der Cool-Jazz-Trompete
und als Sänger wohl eine der faszinierendsten Stimmen des letzten
Jahrhunderts.
Vom
Cool Jazz ist Richard Hawley, der ehemalige Gitarrist der Britpop-Dandys
Pulp, weit entfernt, und doch hat die Wirkung seiner Musik mit Chet
Baker viel gemeinsam - und zu faszinieren weiß auch er. Beide
fühlen sich erkennbar von der Blue Hour angezogen, der
Stunde weit nach Mitternacht, wenn die Gäste die Party verlassen
haben, vielleicht ein letztes Paar sich eng umschlungen zum Rhythmus
langsamer Musik bewegt, die Welt um sicher herum vergessend.
Nur
für dieses eine Paar ist "Coles Corner" gemacht. Die
Grenze zwischen Romantik und Kitsch erkennt Richard Hawley dabei ganz
genau, aber sie ist ihm egal, und wie zum Trotze schickt er seinen
Balladen noch einen Satz schmelzender Geigen hinterher, so selbstverständlich
und grandios wie in "The ocean", dass man einfach
mitschmilzt, mitschmelzen muss. Kitsch ist eine aufgesetzte
Attitüde, doch bei Richard Hawley ist überhaupt nichts aufgesetzt,
sondern alles ist exakt dort, wo es sein sollte, selbst wenn er damit
gegen übliche Gewohnheiten verstößt.
Es
ist ein gängiges Gesetz der Album-Dramaturgie, dass der Opener
ein wirklicher Auftakt sein soll, der den Zuhörer mit Tempo und
originellen Effekten fesselt. Auch diese Regel kümmert Hawley
wenig. Seine Ouverture, zudem der Titelsong, ist eine klassische
Ballade, elegisch und getragen, gleichzeitig elegant und glamourös,
ein Song, den konventionelle Ratgeber vielleicht ans Ende gestellt
hätten, den von dort aus ließe es sich bequem weiterträumen.
Doch Hawleys Konzept geht auf: Er erzählt die Geschichte eines
Clubs seiner Heimatstadt Sheffield: "Coles Corner", und
der gleichnamige Song ist seine persönliche Hommage an einen
Club und seine Besucher - letztlich die Jugend einer ganzen Stadt
über mehrere Generationen.
Dass
man "Cole" zunächst mit Cole Porter assoziiert, dürfte
durchaus gewollt sein, die Musik legt den Vergleich durchaus nahe,
doch tatsächlich trug "Coles Corner" seinen Namen von
einem Kaufhaus, das vorher an gleicher Stelle stand: "Cole Brothers".
1961, erzählt Hawley, sei das Gebäude abgerissen worden.
Doch in der Erinnerung der Bevölkerung existiere es weiter: "'Treffen
wir uns bei Coles Corner.' Die Leute sagen das heute noch, obwohl
es das Geschäft seit Jahren nicht mehr gibt." Im Booklet
lässt er "CC"-Besucher von einst zu Wort kommen, denn
ihn fasziniert die romantische Vorstellung, wie viele Kinder in Sheffield
als Ergebnis einer Verabredung bei Coles Corner geboren worden sein
könnten ...
Nahezu
perfekt fängt Hawley die Nostalgie der Erinnerung ein, ohne dabei
jedoch rückwärtsgewandt oder nach falscher Sentimentalität
zu klingen.
"Richard
Hawley sings and plays" - und verweist mit seinen Blues-
und Countrysongs direkt auf Johnny Cash, Elvis, Fats Domino, Sinatra,
und ist dennoch - oder gerade deshalb - von zeitloser Aussage, klassisch,
unprätentiös, ausgereift und von einem gewaltigen Charisma,
das auch Kollegen wie Thom Yorke (Radiohead) in den Bann gezogen hat:
"Richard Hawley is all I'm listening to at the moment."
Und wer würde einem Thom Yorke schon widersprechen.
©
Michael Frost, 03.09.2005