Sheffield 
            ist eine traurige Stadt. Den Ort traf der Niedergang traditioneller 
            Industrie mit großer Wucht, den Rest erledigte neoliberale Regierungspolitik. 
            So wurde die Kluft zwischen dem armen Sheffield und seinem wohlhabenden 
            Teil wohl tiefer. Die Verbindung zwischen beiden besteht in der "Lady's 
            Bridge", und der hat Richard Hawley, inzwischen wohl der berühmteste 
            Sohn Sheffields, sein neues Album gewidmet. 
          Nirgendwo 
            sonst als eben in seiner Heimatstadt könne er Musiker sein, bekannte 
            Hawley jüngst. Das war schon "Cole's corner" anzumerken, 
            das umwerfende Vorgängeralbum, auf dem er sich der Musik Elvis', 
            Sinatras, Cashs und Chet Bakers bediente, als hätten Punk, Hiphop 
            und Electronica nie stattgefunden - und als sei Hawley selbst nie 
            Gitarrist von Pulp, den Dandys unter den Britpopbands, gewesen. 
          "Lady's 
            bridge" knüpft nun dort an, wo "Cole's corner" 
            endete. Die Brücke wird zum zentralen Punkt Hawleys Erzählungen 
            über die Stadt und ihre Menschen. Getragen von einer tiefen Melancholie, 
            die selbst noch den temporeichen Rockabilly-Songs des Albums anzumerken 
            ist, wächst vor dem geistigen Auge des Zuhörers das Bild 
            des lonesome cowboy in einer britischen Arbeiterstadt, der vor allem 
            über Vergangenes sinniert: Orte, Begegnungen, Freundschaft, Liebe, 
            Familie, vor allem der Vater, der früher selbst nach harter Tagesarbeit 
            in den Clubs von Sheffield zur Gitarre griff. Er starb in der Zeit, 
            als Richard das Album vorbereitete. "Lady's bridge" ist 
            daher auch eine Hommage. 
          Das 
            alles könnte "Ladys Bridge" zu einem rührseligen, 
            gar kitschigen Album machen. Und doch kommt noch nicht einmal der 
            leiseste Anflug aufgesetzter Sentimentalität auf. Auf scheinbar 
            mysteriöse Weise klingt "Lady's Bridge" alt und modisch 
            im selben Moment, es beschwört und bewahrt eine vergangen geglaubte 
            Zeit, und wirkt dennoch nicht konservativ. 
          Ganz 
            so geheimnisvoll ist der Ursprung dieses magischen Sounds freilich 
            nicht. Der Schlüssel zum Rätsel ist Richard Hawley selbst. 
            Seine Haltung, seine Hingabe zu einer Musik, die derselben Vergangenheit 
            entspringt wie seine Geschichten, seine Stimme und die unkompliziert 
            klingenden, tatsächlich jedoch fein gewirkten Arrangements wirken 
            so ernsthaft, so direkt und unverfälscht, dass man kaum anders 
            kann, als sich seinem Sound hinzugeben (man genieße allein das 
            Crescendo der Bläser in "Our darkness") - selbst, oder 
            gerade dann, wenn man sonst ganz andere Musikstile als Doo-Wop, Rockabilly 
            oder Crooner-Balladen bevorzugt. 
          Hawleys 
            Faszination sind längst auch Kollegen erlegen, vor allem solche, 
            die man mit ihm gar nicht in Verbindung bringen würde: Thom Yorke 
            bekannte nach der Veröffentlichung von "Cole's corner", 
            er höre gar nichts anderes mehr, und die Arctic Monkey zeigten 
            sich peinlich berührt, als ihnen 2006 der "Mercury Prize" 
            für das Album des Jahres zugesprochen wurde - und nicht dem mit 
            ihnen nominierten Richard Hawley.
          Vielleicht 
            erhält er den Preis im kommenden Jahr, und noch ein paar weitere. 
            Falls ihm das überhaupt wichtig ist. Denn auch das gehört 
            zu seiner Haltung: kompromisslos zu sein, uninteressiert, was Moden 
            und Strömungen in der Musikwelt angeht. Sheffield und seine Menschen 
            sind ihm Inspiration genug, und jede Stadt, die einen solchen Poeten 
            zu ihren Bürgern zählt, kann sich wirklich glücklich 
            schätzen. So gesehen, ist Sheffield eine glückliche Stadt.
          
            
          © 
            Michael Frost, 31.08.2007