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Im Unterschied zu vielen Compilation-Reihen haben "Le Pop" und "Le Tour" inzwischen den Status einer beständigen und fast unverzichtbaren Werkschau erreicht, Kompendien, die den Anspruch, die Musikszene eines ganzen Landes abzubilden, nicht explizit erheben - ihm aber doch so nahe kommen wie nur irgend möglich. Wer sich also in Deutschland über die aktuelle Musik Frankreichs informieren will, kommt an "Le Pop" und "Le Tour" nicht vorbei. Schön auch die unausgesprochene Aufgabenteilung der beiden Reihen: Während "Le Tour", dessen vierte Ausgabe in diesen Wochen veröffentlicht wird, sich tanzbarem Rock-/Ethno-Sound verpflichtet fühlt, legt "Le Pop" - gerade erschien die sechste CD dieser Reihe - dem Nouvelle Chanson. Es waren Oliver Fröschke und Rolf Witteler, die auf "Le Pop" die Musik von Benjamin Biolay oder Keren Ann erstmals nach Deutschland brachten, und von vielen Künstlern waren die beiden so nachhaltig begeistert, das sie aus der Compilation eine Plattenfirma machten so so kurzerhand einige der bemerkenswertesten Acts selbst unter Vertrag nahmen: Françoiz Breut, Marianne Dissard, Jérôme Minière, Mathieu Boogaerts. Nach vier regulären "Le Pop"-Compilations und einer CD, die ausschließlich Duette enthielt, widmet sich die neue Ausgabe der Reihe den weiblichen (Nachwuchs-)Stars des Neo-Chansons "jenseits", wie der Pressetext süffisant vermerkt, "von Carla Bruni". Tatsächlich wurden erneut nicht nur bereits eingeführte Künstlerinnen für das Projekt versammelt, sondern auch eine beachtliche Anzahl neuer Namen. Das von Kid Loco produzierte Debüt-Album von Julie B. Bonnie, aus dem "Bonjour Monsieur" ausgekoppelt wurde, wurde auch in Frankreich noch gar nicht veröffentlicht. Erstmals in Deutschland ist auch Constance Amiot zu hören, deren Chansons vom Folk inspiriert sind, Marianne Feder und das Elektropop-Duo C++ mit witzigem Retro-Sound. "Le Pop" will jedoch auch zeigen, dass der frankophone Sound längst auch in anderen Regionen zuhause ist. Zum Beispiel in Schweden. Maria Törnqvist und Saemundur Karlsson nennen ihr Duo "Doris Park". Sie sind mit dem koketten Elektro-Reggae "Je ne te quitterais jamais" vertreten. Zwei der beeindruckendsten "Le Pop"-Künstlerinnen, Françoiz Breut und Marianne Dissard, werden 2009 übrigens gemeinsam auf Deutschland-Tour gehen. Mit Tourneen hat auch Thomas Bohnet seine Erfahrungen, wenn auch auf andere Art. Seine Compilation-Reihe "Le Tour" entstand in der Folge der von ihm veranstalteten Tanznächte im Münchener "Ampere", bei denen er als DJ ausschließlich französische Importware zu Gehör brachte. Es waren die Nachfragen der Disco-Besucher, die ihn dazu brachten, die besten Songs für einen Sampler zusammenzutragen: "Le Tour" war geboren. Inzwischen geht die Reihe in die vierte Runde, und da sie sich diesmal im Grenzbereich zwischen Rock, Pop und tanzbaren Chanson bewegt, ergeben sich die Schnittmengen zur Auswahl der "Le Pop"-Kollegen fast zwangsläufig. Allerdings verdient eine Band wie "Poney Express", deren temporeiches "Paris de loin" auf beiden aktuellen Compilations enthalten ist, auch wirklich jede Aufmerksamkeit. Ihr Album "Daisy Street" war eine der schönsten Überraschungen im Frühjahr 2008. Dass "Chez les yé yé", ein alter Gainsbourg-Titel, in der Bearbeitung von Boogalox ein Dancefloor-Knaller ist, überrascht kaum. Das Stück ist auch auf "Le Tour 4" ein Highlight. Das überdrehte Uptempo-Stück im Sixties-Stil geht unvermittelt in die Beine. Auffällig ist auch der Schwerpunkt, den Thomas Bohnet auf allen bislang erschienen "Le Tour"-Alben beim Ethno-Rock legt. Bands, die ihren Sound aus einer Mischung Rock- und Punk-Elementen, Reggae, Raï, Latin oder Gypsy-Brass entwickeln, scheinen in Frankreich tatsächlich wie Pilze aus dem Boden zu schießen: Es gibt wohl keine zweite Szene mit einem vergleichbaren Output - weder quantitativ noch qualitativ. Auf "Le Tour 4" stehen u.a. Mousse & Hakim (Zebda), Oaistar und La Vieille École für diese Linie. Es mag sein, konstatiert Bohnet, dass der große Hype, der Anfang des Jahrzehnts um die jungen Stars des Neo-Chansons auch in Deutschland entstand (und für den Bohnet wie auch Witteler/Fröschke) inzwischen vorbei sei, doch: "In Frankreich erscheinen nach wie vor jeden Monat exzellente Platten". Genug Material also für alle, die sich in die französische Musik leidenschaftlich verliebt haben, ihr beruflich verbunden sind - oder beides miteinander verknüpfen konnten:
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© michael frost, |